Schlagwort: Ungleichheit Ernährung

Weiter wie bisher oder radikale Wende

Wie versprochen, setze ich heute mit den Szenarien fort, die der Club of Rome im neuesten Bericht „Earth for All“ für unser Leben in den kommenden Jahrzehnten zeichnet. Dafür hat das Forschungsteam sein Simulationsmodell World3, das schon bei „Die Grenzen des Wachstums“ zum Einsatz kam, mit bekannten Daten aus der Vergangenheit gefüttert und die Treffsicherheit der Resultate überprüft.

Die Genauigkeit der Vorhersagen war erschreckend. „Diese weitgehende Übereinstimmung zwischen Modell und Realität sollte bei uns die Alarmglocken läuten lassen“, wie es im Bericht heißt. Einzelne Szenarien deuten sogar auf einen Kollaps im 21. Jahrhundert hin, etwa BAU (business as usual), wenn wir nichts ändern.

Die Autor:innen des „Survivalguide für unseren Planeten“ beschränken sich aber auf zwei andere Pfade, die unsere Gesellschaft wählen kann: too little too late, also halbherzige Änderungen unserer Ökonomie, oder ein Riesenschritt (giant leap).

Too little too late beschreibt „den gegenwärtigen Kurs, bei dem Gesellschaften große Reden über Nachhaltigkeit schwingen, sich tatsächlich aber nur irgendwie durchlavieren“. Hier schwindet das soziale Vertrauen, und die zunehmende Kluft zwischen Arm und Reich zerreißt die Gesellschaft. Der non-kollaborative Kampf um den eigenen Vorteil ruiniert die Natur und ihre lebenserhaltenden Systeme.

Die Simulation zeigt bis 2050 ein verlangsamtes Wachstum von Bevölkerung und Weltwirtschaft, eine geringere Erwerbsquote samt schwindendem Vertrauen in die Regierungen, sowie einen massiven Verlust von Flora und Fauna, gepaart mit einer „anhaltenden Armut im Süden und einer destabilisierenden Ungleichheit im Norden“. Gleichwohl hat sich einiges bis 2050 zum Besseren verändert. In Asien werden Kohlekraftwerke geschlossen, Wind- und Sonnenenergie ausgebaut. Aber die Temperaturen steigen trotz sinkender CO2-Emissionen noch immer. Zonen, „in denen die Außentemperatur das für Menschen erträgliche Maß bei Weitem übersteigt“, werden mehr.

Vor allem wegen der Fleischproduktion ist der Agrarsektor „nach wie vor hauptverantwortlich für Treibhausgasemissionen und für den Verlust der Biodiversität“.

Zudem prognostiziert der Bericht in diesem Szenario eine Zunahme von Klimamigration und globalen Pandemien. „All dies befördert den Aufstieg von Populisten und autokratischen Führern, die eine stabile Regierungsführung und die Werte der Demokratie zu unterminieren drohen.“

Das kommt einem auch im Krisen-Jahr 2022 bekannt vor.

Giant Leap hingegen bedeutet eine völlige Neuausrichtung unseres Zusammenlebens, in dem Ungleichheit reduziert und das Energiesystem und der Umgang mit Ressourcen auf völlig neue Beine gestellt und dekarbonisiert wird. Dem zugrunde liegt die Erfahrung, dass „gerechte Gesellschaften besser funktionieren als ungerechte.“ Deshalb propagiert „Earth for All“ eine „Wohlergehensökonomie“, in der „den reichsten 10 Prozent nicht mehr als 40 Prozent des jeweiligen Nationaleinkommens zusteht.“ (Zum Vergleich: In Österreich besitzt 1 Prozent der Bevölkerung rund 40 Prozent des Vermögens).

Wohlstand für alle entsteht durch die Bewirtschaftung der globalen Gemeingüter. Private Investoren können also die Natur nicht mehr nach Lust und Laune ausbeuten und monetarisieren, weil sie im Besitz aller ist. Die Nutzung von Ressourcen fließt in Bürgerfonds, die wiederum das Bildungs- und Gesundheitswesen oder ein Grundeinkommen finanzieren. 

Die reichsten Länder sind in giant leap bis 2050 völlig emissionsfrei, China und Indien bis 2060.

Die Ausweitung landwirtschaftlich genutzter Flächen wird schon 2030 gestoppt (dazu weiter unten eine aktuelle Studie).

Durch die globale Ausweitung des Wohlstands leben 2050 neun Milliarden Menschen auf dem Planeten, eine Milliarde weniger als im too little too late-Szenario.

Zur Veranschaulichung verfolgt der „Überlebensratgeber“ die fiktiven Lebensgeschichten von vier Frauen aus reichen wie armen Weltgegenden, von Los Angeles bis Dhaka (in Bangladesch), und zwar über das Jahr 2050 hinaus. Egal ob begütert oder in den Slums aufgewachsen: ihr Lebensglück, ihre Gesundheit und Bildung oder ihre Lebenschancen werden von too little too late ebenso massiv beeinflusst wie von giant leap.

Wenn Sie wissen wollen, wie die 2020 geborenen Frauen dieses Jahrhundert durchleben, je nachdem, wie unsere Gesellschaften sich entscheiden, dann sei Ihnen „Earth for All“ ans Herz gelegt.

Ihr

Franz Zeller

„Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten.“ Oekom Verlag 2022.

Natur-Gesetz

PIK fordert „Carbon Law for Nature”

Der Landsektor, inklusive Land- und Forstwirtschaft, emittiert derzeit jährlich 12 Milliarden Tonnen Treibhausgase. Eine Veränderung der Landnutzung ist deshalb unerlässlich, wenn wir die Erderhitzung bei 1,5 Grad eindämmen wollen. Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung PIK hat berechnet, dass die Emissionen aus dem Sektor dafür bis 2030 auf netto-null sinken müssen. Laut dem berechneten „Carbon Law for Nature“ soll die Landnutzung bis 2050 zu einer Kohlenstoffsenke werden und dann 10 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen.

„Selbst wenn Energie und Industrie ihre Klimaschutzziele erreichen, werden wir ohne dringende Maßnahmen im Landsektor nicht in der Lage sein, die Erwärmung zu begrenzen“, sagt Johan Rockström, Direktor des PIK.

Im nächsten Jahrzehnt hängen 80% des Klimaschutzpotentials im Landsektor davon ab, ob es gelingt, Landwirtschaft und Ernährung umzugestalten bzw. die Lebensmittelverschwendung zu reduzieren.

Die Natur als Schlüssel für eine klimasichere Zukunft: Neue Exponential Roadmap-Initiative für natürliche Klimalösungen — Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (pik-potsdam.de)

Fleisch

Lebensmittel- und Klimakrise

Würden wir weniger Fleisch essen, könnte der Planet eine Milliarde mehr Menschen ernähren. Wie eine Studie der finnischen Universität Aalto zeigt, verbraucht die Nutztierhaltung derzeit ein Drittel der weltweiten Getreideproduktion, ein Viertel des gefangenen Fisches und große Mengen Pflanzenöle und Hülsenfrüchte.

Dabei gäbe es selbst für die Fleischerzeugung eine Menge ungenutzter Ressourcen, etwa Zuckerrübenschnitzel, Getreidekleie, Treber oder Ernterückstände wie Samen und Schalen. Fischmehl könnte statt aus dem gesamten Fisch aus Fischnebenprodukten kommen.

Das Forschungsteam räumt aber ein, dass unter einer Aufwertung dieser Nebenprodukte auch die Qualität des Futters und die Produktivität leiden könnte. Gleichzeitig sinken der Treibhausgasausstoß und der Düngemittelbedarf, so die Studie.

Lebensmittelkrise: Umverteilung könnte eine Milliarde ernähren – science.ORF.at

Kurz gemeldet:

Noch nie seit Aufzeichnungsbeginn sind die Alpengletscher so schnell geschmolzen wie im Sommer 2022, dem viertwärmsten Sommer der Messgeschichte. Das zeigen Daten aus Österreich und der Schweiz.

Klimaerwärmung: Alpengletscher schmelzen in Rekordtempo – science.ORF.at

Wie Kollege Daniel Schrott dokumentiert hat, liegt der Neusiedlersee noch immer 51cm unter dem langjährigen Durchschnitt. Die Differenz entspricht 160 Millionen Kubikmeter Wasser.

https://twitter.com/DanielSchrott/status/1572676780225630208?s=20&t=nubv1_MkiJs5I1NCoPBc8w

Durch die Trockenheit im Frühjahr und Sommer wurden heuer 20 Prozent weniger Getreide geerntet. Besonders betroffen sind Weizen, Mais und Gerste, aber auch Sojabohnen und Zuckerrüben haben unter dem Wassermangel gelitten.

Klimaerwärmung: Trockenheit verringert Ernte – science.ORF.at