Schlagwort: Klimarat

Raus aus der Komfortzone!

(Gemeinsam mit Juliane Nagiller)

Den Fleischkonsum um zwei Drittel senken, keine Einfamilienhäuser mehr auf der grünen Wiese bauen und ein CO2-Preis von mehr als einhundert Euro: Das sind zwar hehre klimapolitische Maßnahmen, die aber politisch nicht umsetzbar sind, denken Sie vielleicht. In gewisser Weise werden sie von den österreichischen Bürger:innen gefordert. Sie machen drei von insgesamt 93 Empfehlungen des ersten österreichischen Klimarats aus.

Sechs Monate lang haben sich einhundert zufällig ausgewählte Bürger:innen mit der Klimakrise beschäftigt. Ihr Endbericht zeigt, dass Menschen tiefgreifende Einschnitte akzeptieren, diese sogar vorschlagen und einfordern, wenn sie umfassend über die Klimaerwärmung und ihre Folgen informiert wurden. Unterstützt und beraten wurden die Bürger:innen von Wissenschaftler:innen, deren prägnante Vorträge man online nachsehen kann. Auch sie hätten viel beim und vom Klimarat gelernt, berichtet der Gletscherforscher Georg Kaser, unter anderem, wie Wissenschaft zu nachhaltigen Entscheidungen beitragen kann.

Es brauche Regeln und Rahmenbedingungen, die klimafreundliches Handeln ermöglichen, stellt der Klimarat fest. Zudem dürfe Klimaschutz weder eine individuelle Entscheidung, noch Luxus sein, weshalb die Bürger:innen bei ihren Empfehlungen auf einen Maßnahmen-Mix setzen. Sie schlagen sowohl Anreize wie klimafreundliche Infrastruktur, Schulungen oder Preissignale, als auch gesetzliche Vorgaben vor. So soll es beispielsweise mehr Bildung zu klimafreundlicher Ernährung, durchgehend breite Geh- und Radwege und eine unbürokratische Sanierungsoffensive geben, genauso wie eine verpflichtende Energieberatung für Gemeinden, ein Werbeverbot für klimaschädliche Produkte und eine Verlagerung der Raumordnungskompetenz auf Länderebene.

Es ist erstaunlich, wie schnell Menschen in einem gut aufgesetzten und begleiteten Prozess (der in dieser Form selbstverständlich auch Geld kostet) die Komplexität und Dringlichkeit der Klimakrise verstehen. Wichtig wäre nun, dass die Politik sich nicht Einzelmaßnahmen herauspickt, sondern die Arbeit der Bürger:innen wertschätzt, indem sie große Teile der Empfehlungen umsetzt. Die Bürger:innen haben ihre Komfortzone verlassen. Das sollte auch die Politik tun.

Ihre

Juliane Nagiller & Franz Zeller

PS: Die Bürger:innen des Klimarats sind übrigens wild entschlossen weiterzumachen. Sie haben einen Verein gegründet und wollen sich weiter für den Klimaschutz engagieren. Ein Umsetzungswille, den man bisweilen in der Politik vermisst.

PPS: Der Ö1 Klima-Newsletter wird im Juli und August unregelmäßig erscheinen.

Hitze vom Sonnblick bis zur Adria

Un-Wetter

Der Gipfel des 3106 Meter hohen Sonnblicks ist heuer zum ersten Mal schon Anfang Juli schneefrei. Üblicherweise lagen zu diesem Zeitpunkt noch etwa zweieinhalb Meter Schnee am Observatorium. Seit dem Messbeginn 1938 aperte der Sonnblick nie so früh aus.

Am Neusiedlersee kommt das Schneewasser vom Sonnblick jedenfalls nicht an. Dort liegt der Wasserstand nur mehr vier Zentimeter über dem historischen Tiefstand von 2003.

Und wie unser Kollege Daniel Schrott vom ORF-Wetter diese Woche auf Twitter gezeigt hat, ist auch Europas Badewanne, das Mittelmeer, bereits 4 Grad wärmer als sonst üblich. Dadurch verliert die kühlende Brise ihre Wirkung – ein Vorgeschmack auf die nächsten Dekaden, in denen uns die Lust auf einen Adria-Urlaub möglicherweise vergeht.

Aber auch für heuer sind noch höhere Temperaturen zu befürchten. „Das ganze System schaukelt sich auf. Die nächste Hitzewelle wird umso ärger ausfallen, weil ja nun auch schon das Meer so warm ist“, meint Meteorologe Schrott.

Je heißer das Mittelmeer, umso größer ist im Herbst übrigens die Wahrscheinlichkeit von Stürmen (Medicanes).

Hitzewellen über Europa haben drei- bis viermal schneller zugenommen als in den übrigen mittleren Breitengraden auf der Nordhalbkugel, etwa in den USA oder Kanada. Das belegt eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung PIK.

Rein technisch ist eine Veränderung des Jetstreams daran schuld. Immer häufiger kommt es zu „Doppel-Jets“, die viel länger andauern als früher. Dabei teilt sich der von Westen nach Osten fließende Jetstream in zwei Zweige – einen über Nord- und einen über Südeurasien. Die anhaltenden Doppel-Jets verstärken auch die Hitzewellen über Europa. „Unsere Studie zeigt, dass die zunehmende Verweildauer von Doppeljets etwa 30 Prozent der Hitzewellentrends für ganz Europa erklärt. Wenn wir jedoch nur die kleinere westeuropäische Region betrachten, erklärt sie fast 100 Prozent“, sagt Mitautor Efi Rousi.

Normalerweise kühlt das Wetter vom Atlantik den Kontinent ab. „Wenn es aber zum Doppeljet kommt, werden die Wettersysteme nach Norden abgelenkt und es können sich über Westeuropa anhaltende Hitzewellen entwickeln“, so Rousi. In anderen europäischen Regionen wie dem Mittelmeerraum und Osteuropa hängen Hitzewellen eher mit trockenen Böden zusammen.

„Grüne“ Atomkraft

Umstrittene Taxonomie

Gas und Atomkraft gelten als „grüne“ Energieformen – zumindest wenn es nach der europäischen Kommission geht. Das EU-Parlament hat den Vorschlag am Mittwoch bestätigt, Investitionen in Atomkraft und Gas werden damit als klimafreundlich eingestuft.

Die in Österreich zuständige Ministerin Leonore Gewessler hat bereits eine Klage gegen die Entscheidung angekündigt, weil sie dem „Green Deal“ nicht gerecht werde und verantwortungslos sei, und auch Greenpeace will dagegen klagen. 

https://orf.at/stories/3274762/

Auf dem Niveau von 1990

CO2-Ausstoß

Die Treibhausgasemissionen sind nach dem Ausreißer-Jahr 2020 im vergangenen Jahr erneut um 6,5% gestiegen. Das zeigen die aktuellen Berechnungen des Wegener Centers für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. Österreichs Ausstoß befindet sich nun wieder auf dem Niveau des Jahres 1990. Eigentlich sollte Österreich seinen CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 20 Prozent und bis 2030 um 55 Prozent senken.

Das verbleibende Treibhausgasbudget, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, könnte bereits in den 2030er Jahren aufgebraucht sein.

Österreichs CO2-Ausstoß im Vorjahr stark gestiegen – steiermark.ORF.at

Kurz gemeldet

Auch die Tiefen des Nordostatlantiks sind mit Mikroplastik verschmutzt. 2.000 Meter unter dem Meeresspiegel zwischen den Azoren und Madeira fanden Forscher:innen vor allem Polyethylen PET und PVC.

Mehr als 120 Wissenschafter:innen erstellen in den kommenden drei Jahren einen Klimabericht für Österreich. Das Papier soll sich an den Sachstandsberichten des Weltklimarates orientieren, aber Empfehlungen auf regionaler Ebene liefern, um den Weg zur Klimaneutralität wissenschaftlich zu untermauern.

Servicetipps

Klimafreundliche Ausflüge

Wer zur nächsten Wanderung öffentlich anreisen möchte, findet Routenvorschläge auf der Plattform Zuugle. Auch bei den Naturfreunden und beim Alpenverein bekommt man Tipps für klimafreundliche Ausflüge.

Reparaturbonus

Nur zur Erinnerung: Wer repariert, vermeidet Müll und Emissionen. Um Geräten ein längeres „Leben“ zu geben, fördert das Klimaschutzministerium Reparaturen über den Reparaturbonus. Er ersetzt 50% der Kosten bis zu einer Höhe von 200 Euro. Die Konsument:innen zahlen damit nur mehr die Hälfte der Rechnung an die Reparaturbetriebe.

Post sucht Ideen für nachhaltige Mehrwegverpackungen

Kartons, die nach einmaliger Verwendung im Abfall landen, sind Ressourcenverschwendung. Im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft sucht die Post jetzt nach Ideen für Mehrwegverpackungen. Unter Re:Postboxing können Interessierte ihre Vorschläge zur Reduktion von Einwegverpackungen einreichen.

Erneuerbare ausbauen, Vorbehalte abbauen – aber wie?

Hörtipp

Dass die fossile Ära, durchaus mit Schrecken, zu Ende geht, scheint vielen klar zu sein. Wir brauchen erneuerbare Energien. Aber wenn es darum geht, ein Windrad in die Landschaft zu stellen, dann werden auch SUV-Fahrer:innen plötzlich zu heftigen Naturschützern, obwohl ein Kilometer Autobahn einen weitaus größeren Hässlichkeitsfaktor hat. Wie die Bevölkerung für ein neues Energiezeitalter gewonnen werden kann, dazu fand in Wien kürzlich ein Expert:innengespräch statt. Das JOURNAL PANORAMA hat die verschiedenen Ideen hörenswert zusammengefasst.

https://oe1.orf.at/player/20220704/684921

Schein-Klimaschutz, planetare Grenzen und schnelle Mode

Textilien werden im Schnitt weit unter zehnmal getragen. Das sagt der Vorstand des Instituts für Nachhaltigkeitsmanagement an der TU Wien, Andre Martinuzzi. Da ich Modehäuser als die weltliche Version der Vorhölle empfinde, machen mich derlei Statistiken nachgerade fassungslos. Eines meiner ältesten T-Shirts habe ich 2012 in Panama gekauft, und es dürfte qualitativ tatsächlich top sein, da es die Peinlichkeitsschwelle noch immer deutlich unterschreitet.

In PUNKT EINS war diese Woche zu hören, dass Online-Versandhäuser textile Retouren vernichten, weil dies billiger kommt, als die Kleidung auf Lager zu legen. Und gekauft wird auf Anschlag. „Österreicher:innen kaufen derzeit durchschnittlich 60 Kleidungsstücke pro Jahr, und gleichzeitig hat sich die Dauer, die die Kleidung getragen wird, ganz stark verkürzt. Gut 20 Prozent der Kleidung wird gar nie und bis zu 40 Prozent der Kleidung sehr selten getragen“, meinte die Umweltsoziologin Mirjam Mock in der Sendung.

Fast Fashion ist zu einem veritablen Umwelt- und Klimaproblem geworden. Manche Modelabels bringen im Wochenabstand neue Kollektionen heraus, zu Preisen, die die planetaren Kosten überhaupt nicht abbilden. Schätzungen gehen davon aus, dass ein Drittel aller produzierten Textilien überhaupt nie auf den Markt kommt, sondern ungetragen verbrannt oder anders vernichtet wird.

Die Produktion von einem Kilogramm Baumwolle benötigt drei Kilogramm Chemikalien. Weltweit verschlingt die Textilproduktion vier Prozent des Wasserbedarfs oder 100 Milliarden Kubikmeter jährlich. Mit Stand 2019 emittierte die Textilindustrie jährlich 1,2 Milliarden Tonnen CO2, mehr als die gesamte Luftfahrt (0,9 Mrd. Tonnen). Insgesamt ist die Modebranche mit 8 Prozent am Treibhausgasausstoß beteiligt.  

Und dabei sprechen wir noch gar nicht von den unmittelbaren menschlichen Kosten durch die miserablen Arbeitsbedingungen und die Ausbeutung der Textilarbeiter:innen in Billiglohnländern. Menschliches Leid und ökologische Zerstörung gehen wie so oft Hand in Hand. Durch das Missverstehen von Kleidung als Wegwerfprodukt, machen sich auch die Konsument:innen mitschuldig.

Um Mode nachhaltiger zu machen, hat die EU Ende März eine „Initiative für nachhaltige Produkte“ gestartet, die die desaströse Fast Fashion bis 2030 verschwinden lassen soll. Mehr dazu im ersten Beitrag dieses Newsletters.

https://oe1.orf.at/player/20220427/676131

Aus für Fast Fashion

EU-Initiative

Um mehr Bewusstsein für die verheerenden Folgen von Billigmode zu schaffen, will die EU Textilien u.a. mit verpflichtenden Angaben zur Halt- und Wiederverwertbarkeit versehen, ebenso über die Nachhaltigkeit der Produktion. Die Initiative ist Teil der Kommissions-Pläne für eine Kreislaufwirtschaft, die nicht ständig neue Rohstoffe anzapfen und verschlingen muss. Durch Recycling und Reparierbarkeit soll der Ressourcenverbrauch von Textilien drastisch gesenkt werden. Jeder Europäer verbraucht allein über die Textilien, die er durchschnittlich pro Jahr kauft, 9.000 Liter Wasser.

Neue EU-Strategie: Der Anfang vom Ende für „Fast Fashion“ – news.ORF.at

Sechste Planetare Grenze überschritten

Süßwasser

Von den borealen Wäldern bis zu den Tropfen, auf Ackerflächen wie in Wäldern, verändert sich die Bodenfeuchtigkeit. Sie werden zunehmend extrem feucht oder extrem trocken. Dies bringt zum Beispiel den Amazonas-Regenwald nahe an einen Kipppunkt. Das Stockholm Resilience Center und das Potsdamer PIK schätzen die Veränderung des Süßwasserhaushalts als dermaßen gravierend ein, dass sie damit eine planetare Grenze überschritten sehen, weil damit die lebenserhaltenden Systeme der Erde bedroht sind. Hauptautorin Lan Wang-Erlandsson bezeichnet Wasser als den „Blutkreislauf der Biosphäre.“

Wasser ist einer der neun Regulatoren für den Zustand des Erdsystems und die sechste Grenze, deren Überschreitung Forschende festgestellt haben. Andere überschrittene Grenzen sind: Klimawandel, Integrität der Biosphäre, biogeochemische Kreisläufe, Veränderung des Landsystems und, im Jahr 2022, neuartige Stoffe, zu denen Plastik und andere vom Menschen hergestellte Chemikalien gehören, wie das Potsdam Institut für Klimafolgenforschung in einer Aussendung schreibt.

Update planetare Grenzen: Grenze für Süsswasser überschritten — Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (pik-potsdam.de)

Wort der Woche

„Schein-Klimaschutz“

„Wir sind nach wie vor katastrophal in die falsche Richtung unterwegs.“ Das meinte diese Woche Reinhard Steurer, Professor für Klimapolitik an der BOKU. Im Klimaschutz würden in der österreichischen Politik Etikettenschwindel, Schönreden und (Selbst-)Täuschung regieren.

„Wir wählen regelmäßig Scheinklimaschutz“, so der Politologe, „im Supermarkt wie bei politischen Wahlen.“ Auch der von Österreich für 2040 versprochenen Klimaneutralität räumten die Expert:innen angesichts der gegenwärtig umgesetzten Maßnahmen nur geringe Chancen auf Realisierung ein. Verbrauchsreduktion und Energiesparen müssten ebenso zu einem Thema werden wie ein Umdenken beim größten Sorgenkind der Klimapolitik, der Mobilität.

„Scheinklimaschutz“ statt echter Maßnahmen – science.ORF.at

50 Grad in Indien

Rekord der Woche

Der März war der zweitheißeste des Subkontinents seit 120 Jahren, ähnliches gilt für April. Die begleitende Trockenheit lieferte auch nur ein Drittel bis ein Viertel der üblichen Regenmengen. Durch die Hitzewelle schrumpft Indiens Weizenproduktion. Sollte sich Indien nicht mehr selbst mit Getreide versorgen können, würde dies zusätzlich zur Weizen-Knappheit durch den Ukraine-Krieg Druck auf den Weltmarkt ausüben.

Der Deutsche Wetterdienst beschreibt Indien als einen der Hotspots des globalen Klimawandels. Als Folge der Erderhitzung nimmt die Zahl von Extremwetter-Ereignissen seit Jahren zu. In den 1980er Jahren gab es in Indien im Schnitt 41 Tage pro Jahr mit Temperaturen über 40 Grad, in den 2010er Jahren waren es bereits 60. In den nächsten Tagen könnte die Hitze in manchen Teilen Indiens und Pakistans die 50 Grad-Grenze überschreiten.

https://orf.at/stories/3262076/

Tipp

„Was müssen wir heute tun, um morgen in einer klimagesunden Zukunft zu leben?“ Mit dieser Frage hat sich der aus rund 100 Bürger:innen bestehende österreichische Klimarat in bislang vier Zusammentreffen beschäftigt. Nun fragt der Klimarat die Menschen in Österreich um ihre Meinung zu den Themen Ernährung und Landnutzung, Mobilität, Wohnen, Produktion und Konsum sowie Energie. Seit dem 27. April kann man sich über klimarat.org an der Diskussion beteiligen bzw. über vorgeschlagene Maßnahmen abstimmen.

Der Klimarat

Schwarze Bänder mit Reise-Geschichte

Hörtipp

Straßen sind Bodenfresser und, wenn befahren, meist indirekt auch Dreckschleudern.Manchmal tituliert man sie euphemistisch einfach um, wenn aus einer Autobahn eine Stadtstraße wird.Andererseits können sie selber eine Attraktion sein.AMBIENTEporträtiert die Westautobahn, die Großglockner Hochalpenstraße und die Salzburger Getreidegasse.

https://oe1.orf.at/player/20220424/675957