Schlagwort: Gas

Wind und Sonne überholen Gas

Sich Flugreisen leisten zu können, ist zu einem Symbol für bescheidenen Wohlstand geworden. In Wien in den Flieger zu steigen und knapp drei Stunden später in Málaga, fast in Sichtweite von Afrika, auszusteigen, hat auch etwas mit befreiender Entgrenzung zu tun. Gleichwohl ist das Fliegen kein unschuldiger Spaß mehr. Es trägt laut jüngstem IPCC-Bericht mit 3,1 Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Allerdings dürfte die Klimawirkung weitaus höher sein, da auch Wasserdampf und Stickoxide emittiert werden. So geht der Weltklimarat davon aus, dass der Flugverkehr mit rund 5 Prozent an der Erderwärmung beteiligt ist. Ein enormer Wert auch angesichts dessen, dass nur ein verschwindend kleiner Teil der Erdbevölkerung tatsächlich mit dem Flugzeug unterwegs ist bzw. sich Flüge leisten kann.

Welche Veränderungen es bräuchte, damit die Luftfahrt bis 2050 tatsächlich zu einem Netto-Null-Emittenten wird, das hat eine in dieser Woche veröffentlichte Studie  gezeigt. Demnach könnte man durch eine Dämpfung der Nachfrage 61 Prozent der Emissionen einsparen, 27 Prozent durch eine verbesserte Energieeffizienz. Konkret heißt das, die Subventionen des Luftverkehrs zu beenden, wie Jakob Graichen vom Öko-Institut e.V. in Berlin sagt: „Insbesondere [ein Ende für] die Befreiung von der Kerosinsteuer und Mehrwertsteuer auf internationalen Strecken würde sofort die Emissionen senken. Auch eine Verknappung von Slots an Flughäfen, zum Beispiel durch Nachtflugverbote, die diesen Namen wirklich verdienen, würde den Luftverkehr reduzieren. Ein Verbot von Kurzstreckenflügen ist hilfreich, der allergrößte Teil der Luftverkehrsemissionen stammt allerdings aus der Mittel- und Langstrecke.“

Das deckt sich weitgehend mit den Erkenntnissen des IPCC, der darauf drängt, Langstreckenflüge möglichst zu vermeiden und Kurzstreckenflüge durch den Ausbau des Zugverkehrs überflüssig zu machen. Der Weltklimarat kritisierte im Übrigen in seinem jüngsten Bericht auch, dass der Flugsektor bei seinen Versuchen zum Klimaschutz deutlich hinter anderen Bereichen zurückbleibt.

Sehr gespalten sehen Expert:innen die Chancen für nachhaltige Treibstoffe im Flugverkehr. Erzeugt man sie etwa über Sonnenlicht, bräuchte es „Sonnenkollektoren auf einer Fläche von etwa 40.000 Quadratkilometern, um den derzeitigen Bedarf an Flugkraftstoff zu decken. Das ist enorm, wenn auch viel weniger als die Fläche, die benötigt wird, um den neuen Strombedarf für Heizung und Verkehr zu decken“, wie Anthony Patt, Professor für Klimaschutz und -​anpassung an der ETH Zürich meint.

Unsicher ist auch, wie sich die Kosten für synthetische Kraftstoffe entwickeln werden. Derzeit kosten sie mindestens fünfmal so viel wie fossile Alternativen. „Es ist denkbar, dass sie bis 2035 nur noch doppelt so viel kosten. Die Treibstoffpreise machen etwa 30 Prozent der Flugkosten aus. Eine Verdopplung dieser Kosten würde also bedeuten, dass das Fliegen um 30 Prozent teurer würde als heute, wenn sich sonst nichts ändert“, so Patt. Er hält es allerdings für möglich, dass der klimaneutrale Flugverkehr 2050 nicht teurer ist als heute.

Die Flugindustrie zeigt sich derweil noch wenig engagiert. „Die Definition für nachhaltige Treibstoffe der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation ICAO verlangt nur eine Reduktion der Emissionen um zehn Prozent gegenüber fossilem Kerosin – völlig unzureichend mit Blick auf die Ziele für 2050“, kritisiert etwa Jakob Graichen. Deshalb ist für ihn völlig klar: „Von allein wird der Luftverkehr niemals klimaneutral werden. Eine starke Regulierung der Emissionen des Sektors und damit klarer politischer Willen ist unabdingbar.“

Und eine bewusstere Wahl unserer Verkehrsmittel steht wohl auch noch an.

Klimaerwärmung: Wie die Luftfahrt klimafit werden könnte – science.ORF.at

Erstmals mehr Strom aus Erneuerbaren als aus Gas

Energiewende in Europa

Laut Denkfabrik Ember Climate wurden im Vorjahr 22 Prozent des europäischen Stroms aus Solar- oder Windkraft produziert und nur 20 Prozent aus Gas. Damit haben erneuerbare Energieträger das fossile Gas zum ersten Mal bei der Stromerzeugung in der EU überholt. EU-weit konnten so Gaseinkäufe im Wert von zehn Milliarden Euro eingespart werden.

https://www.deutschlandfunk.de/erstmals-mehr-strom-aus-erneuerbaren-als-aus-gas-produziert-100.html

EU verlagert Umweltschäden nach Osteuropa

Konsum-Folgen

Es erinnert ein bisschen an das Floriani-Prinzip, wie die EU mit den schädlichen Umweltfolgen seines hohen Konsums umgeht: Laut einer Studie der University of Birmingham verlagert sie den Treibhausgasausstoß und den Materialverbrauch zu den östlichen Nachbarn, während diese innerhalb der Staatengemeinschaft abnehmen. Auch Brasilien, China und der Nahe Osten seien von dieser Verschiebung der Umweltkosten betroffen, aber am nachteiligsten falle sie für Osteuropa aus. Der wirtschaftliche Mehrwert der Schäden lande hingegen zu 85 Prozent in Europa.

https://orf.at//stories/3302846/

Niedrigere Tempolimits

Umweltschutz

Verkehrsexpert:innen sprechen sich in einem offenen Brief für niedrigere Tempolimits auf Österreichs Straßen aus. Sie plädieren für 30km/h im Ortsgebiet, 80km/h im Freiland und 100km/h auf Autobahnen. Die Limits würden nicht nur Unfälle mit Verletzten und Toten reduzieren, es sei auch „wissenschaftlich zweifelsfrei nachgewiesen“, dass niedrigere Geschwindigkeiten die effektivste Maßnahme zur Reduktion verkehrsbedingter Treibhausgas-Emissionen sind.

Eine Umfrage auf orf.at mit (Stand gestern) rund 50.000 Teilnehmer:innen zeigt, dass etwa die Hälfte eine Geschwindigkeitsreduktion unterstützt. https://oesterreich.orf.at/stories/3192857/

Kurz gemeldet

Eine Begrenzung der Klimaerwärmung auf 1,5 Grad ist derzeit nicht realistisch. Das sagt der „Hamburg Climate Futures Outlook 2023“. Vor allem Unternehmen würden weltweit zu wenig für den Klimaschutz tun.

Studie: Klimaziel von 1,5 Grad nicht realistisch – science.ORF.at

Mehr Pflanzen in Städten können die Zahl der Hitzetoten reduzieren. Damit die hitzebedingten Todesfälle um ein Drittel zurückgehen, müsste die Bepflanzung laut „The Lancet“-Studie auf 30% der Stadtfläche ausgedehnt werden.

Klimaerwärmung: Bäume reduzieren Hitzetote in Städten – science.ORF.at

Raus aus der Komfortzone!

(Gemeinsam mit Juliane Nagiller)

Den Fleischkonsum um zwei Drittel senken, keine Einfamilienhäuser mehr auf der grünen Wiese bauen und ein CO2-Preis von mehr als einhundert Euro: Das sind zwar hehre klimapolitische Maßnahmen, die aber politisch nicht umsetzbar sind, denken Sie vielleicht. In gewisser Weise werden sie von den österreichischen Bürger:innen gefordert. Sie machen drei von insgesamt 93 Empfehlungen des ersten österreichischen Klimarats aus.

Sechs Monate lang haben sich einhundert zufällig ausgewählte Bürger:innen mit der Klimakrise beschäftigt. Ihr Endbericht zeigt, dass Menschen tiefgreifende Einschnitte akzeptieren, diese sogar vorschlagen und einfordern, wenn sie umfassend über die Klimaerwärmung und ihre Folgen informiert wurden. Unterstützt und beraten wurden die Bürger:innen von Wissenschaftler:innen, deren prägnante Vorträge man online nachsehen kann. Auch sie hätten viel beim und vom Klimarat gelernt, berichtet der Gletscherforscher Georg Kaser, unter anderem, wie Wissenschaft zu nachhaltigen Entscheidungen beitragen kann.

Es brauche Regeln und Rahmenbedingungen, die klimafreundliches Handeln ermöglichen, stellt der Klimarat fest. Zudem dürfe Klimaschutz weder eine individuelle Entscheidung, noch Luxus sein, weshalb die Bürger:innen bei ihren Empfehlungen auf einen Maßnahmen-Mix setzen. Sie schlagen sowohl Anreize wie klimafreundliche Infrastruktur, Schulungen oder Preissignale, als auch gesetzliche Vorgaben vor. So soll es beispielsweise mehr Bildung zu klimafreundlicher Ernährung, durchgehend breite Geh- und Radwege und eine unbürokratische Sanierungsoffensive geben, genauso wie eine verpflichtende Energieberatung für Gemeinden, ein Werbeverbot für klimaschädliche Produkte und eine Verlagerung der Raumordnungskompetenz auf Länderebene.

Es ist erstaunlich, wie schnell Menschen in einem gut aufgesetzten und begleiteten Prozess (der in dieser Form selbstverständlich auch Geld kostet) die Komplexität und Dringlichkeit der Klimakrise verstehen. Wichtig wäre nun, dass die Politik sich nicht Einzelmaßnahmen herauspickt, sondern die Arbeit der Bürger:innen wertschätzt, indem sie große Teile der Empfehlungen umsetzt. Die Bürger:innen haben ihre Komfortzone verlassen. Das sollte auch die Politik tun.

Ihre

Juliane Nagiller & Franz Zeller

PS: Die Bürger:innen des Klimarats sind übrigens wild entschlossen weiterzumachen. Sie haben einen Verein gegründet und wollen sich weiter für den Klimaschutz engagieren. Ein Umsetzungswille, den man bisweilen in der Politik vermisst.

PPS: Der Ö1 Klima-Newsletter wird im Juli und August unregelmäßig erscheinen.

Hitze vom Sonnblick bis zur Adria

Un-Wetter

Der Gipfel des 3106 Meter hohen Sonnblicks ist heuer zum ersten Mal schon Anfang Juli schneefrei. Üblicherweise lagen zu diesem Zeitpunkt noch etwa zweieinhalb Meter Schnee am Observatorium. Seit dem Messbeginn 1938 aperte der Sonnblick nie so früh aus.

Am Neusiedlersee kommt das Schneewasser vom Sonnblick jedenfalls nicht an. Dort liegt der Wasserstand nur mehr vier Zentimeter über dem historischen Tiefstand von 2003.

Und wie unser Kollege Daniel Schrott vom ORF-Wetter diese Woche auf Twitter gezeigt hat, ist auch Europas Badewanne, das Mittelmeer, bereits 4 Grad wärmer als sonst üblich. Dadurch verliert die kühlende Brise ihre Wirkung – ein Vorgeschmack auf die nächsten Dekaden, in denen uns die Lust auf einen Adria-Urlaub möglicherweise vergeht.

Aber auch für heuer sind noch höhere Temperaturen zu befürchten. „Das ganze System schaukelt sich auf. Die nächste Hitzewelle wird umso ärger ausfallen, weil ja nun auch schon das Meer so warm ist“, meint Meteorologe Schrott.

Je heißer das Mittelmeer, umso größer ist im Herbst übrigens die Wahrscheinlichkeit von Stürmen (Medicanes).

Hitzewellen über Europa haben drei- bis viermal schneller zugenommen als in den übrigen mittleren Breitengraden auf der Nordhalbkugel, etwa in den USA oder Kanada. Das belegt eine Studie des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung PIK.

Rein technisch ist eine Veränderung des Jetstreams daran schuld. Immer häufiger kommt es zu „Doppel-Jets“, die viel länger andauern als früher. Dabei teilt sich der von Westen nach Osten fließende Jetstream in zwei Zweige – einen über Nord- und einen über Südeurasien. Die anhaltenden Doppel-Jets verstärken auch die Hitzewellen über Europa. „Unsere Studie zeigt, dass die zunehmende Verweildauer von Doppeljets etwa 30 Prozent der Hitzewellentrends für ganz Europa erklärt. Wenn wir jedoch nur die kleinere westeuropäische Region betrachten, erklärt sie fast 100 Prozent“, sagt Mitautor Efi Rousi.

Normalerweise kühlt das Wetter vom Atlantik den Kontinent ab. „Wenn es aber zum Doppeljet kommt, werden die Wettersysteme nach Norden abgelenkt und es können sich über Westeuropa anhaltende Hitzewellen entwickeln“, so Rousi. In anderen europäischen Regionen wie dem Mittelmeerraum und Osteuropa hängen Hitzewellen eher mit trockenen Böden zusammen.

„Grüne“ Atomkraft

Umstrittene Taxonomie

Gas und Atomkraft gelten als „grüne“ Energieformen – zumindest wenn es nach der europäischen Kommission geht. Das EU-Parlament hat den Vorschlag am Mittwoch bestätigt, Investitionen in Atomkraft und Gas werden damit als klimafreundlich eingestuft.

Die in Österreich zuständige Ministerin Leonore Gewessler hat bereits eine Klage gegen die Entscheidung angekündigt, weil sie dem „Green Deal“ nicht gerecht werde und verantwortungslos sei, und auch Greenpeace will dagegen klagen. 

https://orf.at/stories/3274762/

Auf dem Niveau von 1990

CO2-Ausstoß

Die Treibhausgasemissionen sind nach dem Ausreißer-Jahr 2020 im vergangenen Jahr erneut um 6,5% gestiegen. Das zeigen die aktuellen Berechnungen des Wegener Centers für Klima und Globalen Wandel der Universität Graz. Österreichs Ausstoß befindet sich nun wieder auf dem Niveau des Jahres 1990. Eigentlich sollte Österreich seinen CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 20 Prozent und bis 2030 um 55 Prozent senken.

Das verbleibende Treibhausgasbudget, um die Erderhitzung auf 1,5 Grad zu begrenzen, könnte bereits in den 2030er Jahren aufgebraucht sein.

Österreichs CO2-Ausstoß im Vorjahr stark gestiegen – steiermark.ORF.at

Kurz gemeldet

Auch die Tiefen des Nordostatlantiks sind mit Mikroplastik verschmutzt. 2.000 Meter unter dem Meeresspiegel zwischen den Azoren und Madeira fanden Forscher:innen vor allem Polyethylen PET und PVC.

Mehr als 120 Wissenschafter:innen erstellen in den kommenden drei Jahren einen Klimabericht für Österreich. Das Papier soll sich an den Sachstandsberichten des Weltklimarates orientieren, aber Empfehlungen auf regionaler Ebene liefern, um den Weg zur Klimaneutralität wissenschaftlich zu untermauern.

Servicetipps

Klimafreundliche Ausflüge

Wer zur nächsten Wanderung öffentlich anreisen möchte, findet Routenvorschläge auf der Plattform Zuugle. Auch bei den Naturfreunden und beim Alpenverein bekommt man Tipps für klimafreundliche Ausflüge.

Reparaturbonus

Nur zur Erinnerung: Wer repariert, vermeidet Müll und Emissionen. Um Geräten ein längeres „Leben“ zu geben, fördert das Klimaschutzministerium Reparaturen über den Reparaturbonus. Er ersetzt 50% der Kosten bis zu einer Höhe von 200 Euro. Die Konsument:innen zahlen damit nur mehr die Hälfte der Rechnung an die Reparaturbetriebe.

Post sucht Ideen für nachhaltige Mehrwegverpackungen

Kartons, die nach einmaliger Verwendung im Abfall landen, sind Ressourcenverschwendung. Im Sinne einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft sucht die Post jetzt nach Ideen für Mehrwegverpackungen. Unter Re:Postboxing können Interessierte ihre Vorschläge zur Reduktion von Einwegverpackungen einreichen.

Erneuerbare ausbauen, Vorbehalte abbauen – aber wie?

Hörtipp

Dass die fossile Ära, durchaus mit Schrecken, zu Ende geht, scheint vielen klar zu sein. Wir brauchen erneuerbare Energien. Aber wenn es darum geht, ein Windrad in die Landschaft zu stellen, dann werden auch SUV-Fahrer:innen plötzlich zu heftigen Naturschützern, obwohl ein Kilometer Autobahn einen weitaus größeren Hässlichkeitsfaktor hat. Wie die Bevölkerung für ein neues Energiezeitalter gewonnen werden kann, dazu fand in Wien kürzlich ein Expert:innengespräch statt. Das JOURNAL PANORAMA hat die verschiedenen Ideen hörenswert zusammengefasst.

https://oe1.orf.at/player/20220704/684921

Wärmere Ozeane sind lauter

  1. April 2022

Der Mensch kann schlecht mit Unsicherheit umgehen. Wir lieben Gewissheiten. Die können uns aber nur Religionen geben, so fragwürdig auch immer sie sein mögen. Zu den zentralen Spielregeln der Wissenschaft hingegen gehört, dass ihre Erkenntnisse immer widerlegbar sein müssen – und manchmal auch widerlegt werden. Manche rechnen ihr das als Schwäche an. Dabei ist das genau die Stärke der Wissenschaft.

Auch in der Klimaforschung haben sich manche Voraussagen verändert. Leider nicht unbedingt in jene Richtung, die zu unserer Entspannung beitragen würden. Bereits 2001 wurde im 3. Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC die Möglichkeit von Kipppunkten in unserer Atmosphäre und unseren Ökosystemen angesprochen – das sind jene Momente, ab denen ein Ereignis wie das Abschmelzen des Grönländischen Eisschildes unumkehrbar wird.

2008 hat der deutsche Klimaforscher Hans Joachim Schellnhuber mehr als ein Dutzend solcher tipping points aufgrund der Erderwärmung publiziert. Dazu gehört etwa der Zusammenbruch der Nordatlantischen Umwälzströmung. Sie hat sich schon jetzt um 15% verlangsamt. Bleibt dieses gigantische Energieförderband stehen, kommt es im nordatlantischen Raum zu einer dramatischen Abkühlung. Durch die Erderwärmung könnte auch der Indische Monsun destabilisiert werden. Das hätte mehr Dürren und Flutkatastrophen zur Folge, um nur zwei Beispiele zu nennen.

2019 haben Schellnhuber und seine Kolleg:innen ihre Prognosen revidiert und gewarnt, dass die Kipppunkte wahrscheinlicher und zeitlich näher sein könnten, als zuvor angenommen. Ging man vor zwei Jahrzehnten noch davon aus, dass sie erst bei einer globalen Erwärmung von 5 Grad auftreten, gelten manche Kipppunkte auch schon bei einem Temperaturanstieg von 1 bis 2 Grad als wahrscheinlich. Und wie vor einigen Wochen erwähnt, stehen wir momentan bei einer durchschnittlichen Erderwärmung von 1,1 Grad, im Vergleich zur vorindustriellen Zeit. Die Amundsen See-Einbuchtung in der Westantarktis könnte diesen point of no return bereits überschritten haben. Und auch für das Grönländische Eisschild könnte der irreversible Abschmelzprozess schon bei 1,5 Grad Erwärmung starten – möglicherweise in den 2030er-Jahren. Vom Auftauen der Permafrostböden haben wir ja erst vor kurzem im Ö1 Klima-Newsletter berichtet.

Insofern ist das Paris-Ziel von 1,5 Grad nicht der sichere Klima-Hafen, wie viele meinen, sondern nur ein Zielwert zur Schadensminimierung. In Wahrheit zählt jedes Zehntel Grad, das wir vermeiden können.

Wärmer Ozeane sind lauter

Biodiversität

Steigt die Temperatur in den Meeren, können sich die Schallwellen schneller ausbreiten. In der arktischen Barent See oder im nordwestlichen Pazifik ist die Schallgeschwindigkeit in einer Tiefe von 50 Metern bereits um ein Prozent gestiegen, wie eine kanadische Studie zeigt. Gleiches gilt für die Arktis, den Golf von Mexiko oder die südliche Karibik 500 Meter unter der Wasseroberfläche. Für die Meerestiere wird sich damit die Kommunikation möglicherweise folgenschwer wandeln. „Die Veränderung der Schallgeschwindigkeit beeinflusst auch ihre Fähigkeit zur Nahrungsaufnahme, das Paarungsverhalten oder die Flucht vor Räubern“, so die Autoren.

Warming oceans are getting louder – AGU Newsroom

Riesiger Eisberg abgebrochen

Ostantarktis

Bereits Mitte März dürfte sich ein Eiskoloss in der Größe Roms vom Festland der östlichen Antarktis gelöst haben.  Die NASA-Expertin Catherine Colello Walker beschrieb die Ablösung des sog. Conger Eisschelfs im Guardian als „einen der bedeutsamsten Abbrüche in der Antarktis seit den frühen 2000er Jahren“ und als „Anzeichen für das, was kommen mag.“

Im Gegensatz zur Westantarktis ist ein Abschmelzen der Ostantarktis zwar unwahrscheinlicher. Aber auch hier könnte durch punktuelle Ereignisse ein nicht mehr zu stoppender Eisverlust in Gang gesetzt werden – mit einem langfristigen Meeresspiegelanstieg von 3-4 Metern.

Riesiger Eisberg in östlicher Antarktis abgebrochen – science.ORF.at

Wie Gas in der Industrie ersetzen?

Energiewende

8,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbraucht Österreich pro Jahr. Mehr als 70 Prozent davon gehen in die Industrie, einerseits als Energieträger, andererseits auch als Rohstoff für chemische Produkte oder Düngemittel. Der größte Verbraucher ist der Chemiesektor, gefolgt von der Papier- und Zellstoffproduktion und der Stahlindustrie. In einigen Bereichen, etwa der Lebensmittelindustrie, könnten Trocknungsprozesse statt mit Gas über Biomasse betrieben werden. Auch in der Stahlindustrie seien Verfahren mit Strom statt Gas möglich, allerdings mit einer Umstellungszeit von 10-15 Jahren, so Ilse Schindler vom Umweltbundesamt in Wien.

Weniger Erdgas: Wie der Energiewechsel funktionieren könnte – science.ORF.at

Kurz gemeldet

Australischen Forscherinnen ist es gelungen, hitzetolerantere Korallen zu züchten. Am Great Barrier Reef hat gerade wieder eine temperaturbedingte Korallenbleiche eingesetzt.

Ökologie: Hitzetolerante Korallen am Great Barrier Reef – science.ORF.at

Podcast NACHHALTIG LEBEN

TIPP

Jeden zweiten Freitag fragt Ruth Hosp in der Sendung NACHHALTIG LEBEN (11.55 Uhr), wie ein ökologisch verträglicher Lebensstil aussehen könnte. Es geht um „grünes“ Reisen genauso wie um den Ausstieg aus der ressourcenverschlingenden „Fast Fashion“. NACHHALTIG LEBEN ist auch als Podcast abonnierbar.

https://radiothek.orf.at/podcasts/oe1/oe1-nachhaltig-leben

Sendungen zum Thema aus dem gesamten Ö1-Angebot, von DIMENSIONEN über MOMENT bis zum RADIOKOLLEG sind dauerhaft unter https://oe1.orf.at/nachhaltigleben nachhörbar.

IPCC-Bericht – Das „Window of Opportunity“ schließt sich

Am Montag dieser Woche erschien der jüngste Sachstandsbericht des Weltklimarats IPCC – wie sein Vorgänger unter äußerst ungünstigen Umständen. War es im Vorjahr Corona, das dem ersten Teil die öffentliche Aufmerksamkeit entzog, ist es diese Woche der erschütternde Krieg in der Ukraine. Dessen ungeachtet bleibt die drohende Klimaerwärmung ein Jahrhundertproblem, das unsere Aufmerksamkeit ebenso verlangt wie die humanitäre und politische Katastrophe in einem Land knapp vierhundert Kilometer östlich.

Schon jetzt, so konstatieren die Autor:innen, habe die Erderwärmung zu irreversiblen Entwicklungen geführt, die weder durch den Menschen, noch die Natur ausgeglichen werden können. Immer wieder korrigieren die 270 Verfasser:innen des zweiten Teils des sechsten Sachstandsberichts, wie der Report offiziell heißt, frühere Prognosen – leider, weil sie die disruptive Kraft der aufgeheizten Atmosphäre unterschätzt haben.

Wie die Autor:innen selber die Resultate aus dem jüngsten Bericht einschätzen, hat meine Kollegin Juliane Nagiller in science.orf.at zusammengefasst. „Noch gibt es Möglichkeiten, wie wir uns anpassen können. Diese Möglichkeiten werden geringer werden, je wärmer es wird“, sagt etwa Mitautorin Daniela Schmidt von der University of Bristol.

Der Report unter dem Titel „Impacts, Adapation and Vulnerability“ beschränkt sich nicht auf die direkten Auswirkungen der Treibhausgase. Er zeigt auch, das ge- und zerstörte Ökosysteme und der Verlust der Artenvielfalt doppelt verwundbar machen für die Folgen der Erderwärmung. Damit verbunden ist der Auftrag, unsere Umwelt besser zu schützen, weil auch sie uns resilienter macht gegen die Erderwärmung.

Der gesamte IPCC-Report umfasst 3.675 Seiten. Ich habe in diesem Newsletter vor allem die wichtigsten Fakten aus dem 36seitigen „Summary for Policymakers“ zusammengefasst. Auf dass sie nicht vergessen werden mögen.

AR6 Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability — IPCC

Extreme

Seit 1850 ist die Globaltemperatur um 1,09 Grad gestiegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir die Erderwärmung noch auf 1,5 Grad beschränken können, liegt unter 50%. Dies hat bereits jetzt zu einer Zunahme von Dürren und Unwetterkatastrophen geführt. Kinder, die derzeit 10 Jahre alt oder jünger sind, werden rund viermal mehr Extremwetter erleben als wir heute.

Die direkten finanziellen Schäden durch Überflutungen sind bei einer Erwärmung von 2 Grad bereits 1,4 bis 2mal so hoch wie bei einem globalen Temperaturanstieg von 1,5 Grad. Die Kosten für Extremwetterereignisse steigen exponentiell mit der Erderwärmung.

Artenvielfalt

Die Hälfte aller untersuchten Arten flieht aus den Hitzezonen in höhere Lagen und vor allem in Richtung der Pole – um rund 59 Kilometer pro Jahrzehnt. Bei einer globalen Erwärmung von 1,5 Grad werden 3-14% aller landlebenden Arten wahrscheinlich aussterben. Bei +2 Grad steigt der Maximalwert auf 18 Prozent, bei 3 Grad auf 29 Prozent. Im 5 Grad-Szenario könnten fast die Hälfte aller Spezies vom Erdboden verschwinden.

Nahrung

Der Klimawandel und die damit verbundenen Extremereignisse haben das Nahrungsangebot, trotz steigender Produktivität, in viel kleinerem Ausmaß als möglich wachsen lassen. Sie bremsen damit auch das Erreichen der Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Acht Prozent der heutigen Ackerfläche werden 2100 nicht mehr landwirtschaftlich nutzbar sein. In den Ozeanen reduzieren Erwärmung und Übersäuerung das Fischangebot. Die Fischereierträge könnten bis Ende des Jahrhunderts um bis zu 41 Prozent zurückgehen. Das führt vor allem in Afrika, Asien, Mittel- und Südamerika sowie kleinen Inselstaaten und der Arktis zu Ernährungsproblemen. Rund die Hälfte der Weltbevölkerung leidet schon jetzt an Wassermangel.

Wasser

Die Risiken durch Wassermangel werden mittel- bis langfristig in allen Regionen steigen. Bei einer globalen Erwärmung von 2 Grad nimmt die Verfügbarkeit von Schmelzwasser zur landwirtschaftlichen Bewässerung in einigen Gegenden bis zu 20 Prozent ab. Auch der Verlust von Gletschereis reduziert die sommerliche Verfügbarkeit von Wasser drastisch.

Ungleichheit

Die Folgen des menschlichen Treibhausgas-Ausstoßes sind global sehr ungleich verteilt. Die Ärmsten bekommen sie am meisten zu spüren. 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen leben in den Weltgegenden, die den Klimawandel am stärksten erleben. Dazu zählen West-, Zentral- und Ostafrika, Südasien, Mittel- und Südamerika sowie kleine Inselgruppen und die Arktis. In diesen Regionen war die Sterblichkeit aufgrund von Überflutungen, Dürren und Stürmen 15mal höher als in Regionen mit „geringer Verletzlichkeit“.

Gesundheit

Extreme Hitze führt weltweit zu Übersterblichkeit. Klimatisch bedingte Krankheiten – über die Ernährung ebenso wie über Wasser – nehmen zu. Auch von Tieren übertragene Infektionen wie Dengue oder Malaria werden mehr, einerseits weil sich die Überträger weiter ausbreiten, andererseits weil sie sich in wärmerem Wetter besser vermehren können. Krankheiten des Verdauungstraktes wie Cholera, die in den letzten Jahrzehnten zurückgegangen sind, bekommen durch die Erderwärmung neuen Aufschwung.

Anpassungsstrategien

Kurzfristige Klimaschutzmaßnahmen, die die Erwärmung auf 1,5 Grad beschränken, können die Schäden an Ökosystemen und Gesellschaften reduzieren, aber nicht mehr alle negativen Effekte rückgängig machen. Darin sind sich die Autor:innen des zweiten Teils des sechsten IPCC-Sachstandberichts einig. Ein verstärktes Augenmerk auf die Biodiversität und Ökosysteme ist fundamental, um die Resilienz gegen klimatische Veränderungen zu stärken. Dazu gehört etwa, dass 30-50% der weltweiten Landfläche und Ozeane unter Schutz gestellt werden. Durch Anpassungsmaßnahmen könne man höhere Investitionen in der Zukunft vermeiden, und der potenzielle Nutzen dieser Maßnahmen sei langfristig höher als ihre Kosten, meint etwa Mitautorin Schmidt.

Jede Verzögerung bei einer weltweit abgestimmten Anpassung an die Klimaveränderung und bei der Eindämmung der Klimaschäden führt dazu, dass sich das „window of opportunity“ weiter schließt und damit auch die Chance sinkt „auf eine lebenswerte und nachhaltige Zukunft für alle“, wie der Bericht schließt.

IPCC-Bericht: Zeitfenster für Klimarettung schließt sich – news.ORF.at

IPCC-Bericht: Anpassung an Klimafolgen zu zögerlich – science.ORF.at

AR6 Climate Change 2022: Impacts, Adaptation and Vulnerability — IPCC

Raus aus dem Gas – aber wie?

Hörtipp

Österreich will bis 2040 klimaneutral sein. Der Ukraine-Krieg könnte den Ausstieg aus der fossilen Verbrennung beschleunigen, auch wenn das russische Gas derzeit noch ungestört fließt. Immerhin eine Million Haushalte und viele Industriebetriebe hängen vom Erdgas ab, das wir zu 80 Prozent aus Russland beziehen. Im JOURNAL PANORAMA haben Energieexpert:innen und ein Wirtschaftsforscher darüber diskutiert, wie die Abkehr vom Gas gelingen könnte.

https://oe1.orf.at/nachhaltigleben/wirtschaft