Schlagwort: Biodiversität

Chancen und verpasste Chancen

Einfach wird es nicht, wenn wir (weitgehend) auf Erdgas verzichten wollen. 8,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas verbrauchen wir in Österreich momentan pro Jahr, wie ich gestern bei einer Präsentation der Österreichischen Energieagentur gelernt habe. Der Verbrauch der Haushalte ist über die letzten Jahre weitgehend stabil geblieben, der Bedarf der Industrie hingegen gestiegen. Papier- und Stahlindustrie brauchen den Energieträger genauso wie Gaskraftwerke. Sie liefern uns im Winter jenen Strom, der sich mit den bestehenden erneuerbaren Quellen nicht mehr ausgeht.

Betrachtet man Erdgas nur als Energieträger (es wird auch noch in andere Produkte umgewandelt), entfallen 57% auf die Industrie, 30% auf die Haushalte. Immerhin stehen noch mehr als 900.000 Gasthermen in österreichischen Wohnungen und Häusern, fast die Hälfte davon in Wien. Und selbst in der Fernwärme steckt zu 50 Prozent Erdgas drin.

Viele Zahlen, die unsere komplexe Abhängigkeit von Erdgas (und in Österreichs Fall damit von russischen Lieferanten) zeigen.

Wie also wegkommen vom fossilen Erdgas, das Milliarden kostet, die Raketen eines autoritären Regimes finanziert und den Erdball ins Fieber treibt?

Wir werden auch in Zukunft gasförmige Energieträger brauchen, meint Günter Pauritsch von der Energieagentur. Aber es gibt Alternativen zur fossilen CO2-Schleuder. „Grünes“ Gas – Biomethan – kann man zum Beispiel durch Vergärung von biogenen Abfällen oder Vergasung von Holz erzeugen. Wie die Energieagentur errechnet hat, lässt sich damit selbst unter optimistischsten Annahmen bis 2040 maximal ein Viertel des Gasbedarfes decken. Und 2040 ist jenes Jahr, für das Österreich die Klimaneutralität anpeilt. Die Differenz könnte aus „grünem“ Wasserstoff kommen. Er wird mit Strom aus Wasser, Wind oder Sonne produziert.

Dass wir unseren Energiebedarf vollständig im Land decken können, bezweifelt Günter Pauritsch aber. Wir werden auch nach 2040 Nettoimporteur bleiben. Deshalb sei es höchste Zeit, sich schon jetzt mit Importmöglichkeiten von erneuerbaren Gasen zu beschäftigen.

Dass wir eine gute Chance zum Umdenken verpasst haben, erfahren Sie jetzt gleich im ersten Beitrag des Newsletters.

Zu wenig grüne Investitionen während Corona

Verpasste Chance

Rund 14 Billionen Dollar haben die G20-Staaten während der Corona-Pandemie in wirtschaftliche Hilfspakete investiert. Aber nur 6 Prozent davon gingen in klimafreundliche Bereiche. Das dokumentiert eine Studie, die kürzlich in Nature erschien.

„Diese Wiederherstellungspakete waren für die Regierungen eigentlich eine Chance zu entscheiden, wie die künftige Wirtschaft im Land aussehen soll und wie man sie in eine klimafreundlichere Richtung lenken könnte“, meinte Koautor Scot Miller gegenüber science.orf.at.

Die G20-Staaten sind für 80% des weltweiten Treibhausgas-Ausstoßes verantwortlich. Die Bereitschaft zu grünen Investitionen schwankt stark: So investierten die EU und Südkorea immerhin 30% ihrer Wiederherstellungsgelder in klimafreundliche Bereiche.

CoV-Wirtschaftshilfen: Verpasste Chance für grünere Zukunft – science.ORF.at

Was man über Biodiversität wissen muss

10 „Must-Knows“

Biodiversität, Ökologie und Klimaschutz gehören zusammen. So haben die Ökosysteme an Land und im Wasser in den letzten zehn Jahren etwa 55 Prozent des vom Menschen verursachten CO2 aufgenommen. Umso mehr Sinn macht es, die Natur intakt zu halten. Das betonen die Autor:innen des 60seitigen Berichts „10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2022“ und finden sich damit ganz auf Linie mit dem jüngsten Sachstandsbericht des IPCC. Sie kritisieren etwa, dass weltweit 22mal mehr für Investitionen ausgegeben wird, die der Biodiversität schaden, als für artenschutzfreundliche Alternativen.

Zudem, so kritisiert der Bericht, vergesse man zu oft auf die unsichtbare Flora und Fauna. „Elefanten oder Tiger möchten alle schützen, das Leben unter der Oberfläche stirbt unsichtbar“, denn in Flüssen und Seen sei die Menge größerer Wirbeltiere um 84 Prozent zurückgegangen.

Biodiversität : Zehn „Must-knows“ zum Artensterben – science.ORF.at

10 Must-Knows aus der Biodiversitätsforschung 2022 | Zenodo

Antarktisches Meereis auf Rekordtief geschrumpft

Natürliche Schwankung

Mit knapp unter 2 Millionen Quadratkilometern Ausdehnung hat die antarktische Meereisfläche im Februar den tiefsten Stand seit dem Beginn der Satellitenbeobachtung vor 43 Jahren erreicht. Die Forscher:innen der Nature-Studie führen den Negativrekord allerdings fast zur Gänze auf natürliche Schwankungen zurück. Der Wind habe Eismassen aus der Ross See Richtung Norden getrieben. Dort seien sie im wärmeren Wasser dann geschmolzen. Im Gegensatz zum arktischen Eis, das seit dem Start der Satellitenauswertung 1979 kontinuierlich geschrumpft ist, schwankt das antarktische Eis viel stärker. Nach dem jüngsten Rekordtief 2017 hat es bis 2020 fast wieder seine normale Ausdehnung erreicht.

https://www.nature.com/articles/d41586-022-00550-4

Europas Permafrost-Moore tauen

Vor dem Kipppunkt

Erwärmt sich die Erde um 2 Grad, könnten in Europa Permafrost-Moore auf einer Fläche von 700.000 km2 auftauen. Das entspricht fast neunmal der Fläche Österreichs. Moore binden sehr viel Kohlenstoff. Tauen die Moore, emittieren sie Treibhausgase wie CO2 und Methan. Wie die Autor:innen der Nature Climate Change-Studie schreiben, habe man ihre Bedeutung für das Klima bisher unterschätzt. Die Moore in Europa und Sibirien könnten bereits nahe an jenem Kipppunkt stehen, an dem sie von Kohlenstoffsenken zu Kohlenstoffschleudern werden. Die Moorgebiete in Norwegen, Schweden, Finnland und dem Westen Russlands könnten bereits in den 2030er-Jahren ihre kohlenstoffbindende Funktion verlieren.

https://science.orf.at/stories/3211985/

Kurz gemeldet

Die EU-Finanzminister:innen haben sich auf eine Art CO2-Zoll geeinigt. Um Wettbewerbsnachteile für europäische Unternehmen zu vermeiden, sollen Stahl-, Zement-, Düngemittel- oder Stromimporte ab 2026 entsprechend ihrem Treibhausgasausstoß besteuert werden.

Finanzminister einigen sich auf CO2-Grenzausgleich – news.ORF.at

Die OMV will die Produktion von Öl und Gas zur energetischen Nutzung bis 2050 völlig einstellen. Bis 2030 plant sie als Zwischenziel eine Reduktion von 20 Prozent.

OMV plant Ausstieg aus Öl und Gas – news.ORF.at

Auf schmalem Grat

Hörtipp

Die Alpen haben das angepeilte 2 Grad-Ziel längst überschritten. Nicht nur die wachsende Anzahl von Schneekanonen zeigt, dass sich das Leben in den Bergregionen mit dem Klimawandel stark verändern wird. Die DIMENSIONEN haben sich der Frage gewidmet, wie sich die Erderwärmung auf den Winter auswirkt.

https://oe1.orf.at/nachhaltigleben/klima

Wenn die Hummel nicht mehr brummt

Der Kuckuck ist ein bisschen wie ein schlechter Bassist: Er hat Probleme mit dem Timing. Üblicherweise kommt er im Frühjahr so rechtzeitig aus seinem Winterquartier im Süden zurück, dass das Weibchen seine Eier in die Nester von Rotkehlchen oder Rotschwanz legen kann. Idealerweise schlüpfen die Kuckucksjungen vor der Brut der Wirtsvögel. Dann werfen sie deren Eier aus dem Nest und lassen sich „fremdbetreuen“. Dieses Schmarotzertum macht den Kuckuck zwar nicht sympathisch, aber Sympathiewerte sind nun mal keine Kategorie der Natur.

Mit der Klimaerwärmung wird es im Frühjahr eher warm. Rotkehlchen wie Bachstelze haben längst zu brüten begonnen oder der Nachwuchs ist bereits geschlüpft, wenn der Kuckuck aus Zentralafrika eintrifft. Seine Chancen, sich fortzupflanzen, sinken daher drastisch. Darauf weist auch der WWF im Bericht Feeling the Heat hin, in dem er anhand von 13 Arten exemplarisch veranschaulicht, wie die globale Erwärmung die Natur beschädigt.

Wenig amused ob der Hitze sind auch der Darwin-Nasenfrosch (in Südamerika heimisch) und die Kaiserpinguine, die Lederschildkröte oder das Rentier.

Insgesamt, so schätzt der Weltbiodiversitätsrat, sind von den bekannten 8 Millionen Arten bereits mehr als eine Million bedroht. Dazu gehört auch ein Insekt, ohne das wir gar nicht leben könnten, wie Sie im ersten Beitrag lesen werden.

Hummeln mit Hitzeschock

Artensterben

Die pelzigen Hummeln sind nach menschlichen Maßstäben warm angezogen und damit gut an kältere Klimazonen angepasst. Wird es heiß, können sie schnell überhitzen. Beobachtungen an 66 Hummelarten über ein ganzes Jahrhundert hinweg haben gezeigt, dass sich die Brummer immer mehr in kühlere Regionen zurückgezogen haben. Ihre Anzahl ist dabei kontinuierlich gesunken. Dazu trägt neben der Erderwärmung auch die intensive Landwirtschaft bei. Eine Hummel braucht für ihren Energiebedarf mehrere hundert Blüten pro Tag. Sie bestäubt en passant Wild- und Kulturpflanzen. Sinken die Hummelzahlen, ist auch unsere Ernährung gefährdet.

https://science.orf.at/stories/3211875/

Amazonas-Regenwald wird labiler

Ökologie

Bei mehr als drei Vierteln des Amazonas-Waldes hat die Fähigkeit nachgelassen, sich von Störungen wie Dürren oder Bränden zu erholen. Das zeigt eine Studie des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung (PIK). Nicholas Boers vom PIK führt die nachlassende Widerstandsfähigkeit auf Störungen durch Brandrodungen und Abholzungen zurück. Als Gegenmaßnahme müsse man die Abholzung stark eindämmen, aber auch die globalen Treibhausgasemissionen reduzieren.

Das Amazonas-Gebiet hat eine Schlüsselrolle für das Weltklima. Es speichert große Mengen CO2 und beherbergt viele Tier- und Pflanzenarten. Forscher:innen fürchten, dass sich das Amazonas-Becken bei einem Verlust von 20-25% der Walddecke in eine Savanne verwandeln könnte. 

https://science.orf.at/stories/3211835/

Renaturierung statt technischer Maßnahmen

CO2-Speicherung

Durch die Renaturierung zerstörter oder beschädigter Lebensräume könnten wir im EU-Raum jährlich 300 Millionen Tonnen Kohlendioxidäquivalent aus der Atmosphäre holen. Das behauptet eine Studie im Auftrag des World Wide Fund for Nature (WWF). Die Menge entspricht den gesamten Emissionen von Österreich, Ungarn, Tschechien und der Slowakei.

Im März will die EU ein Gesetz zur Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) präsentieren. Der WWF fordert, „dass bis 2030 mindestens 15 Prozent der Land- und Meeresfläche sowie 15 Prozent der Flussstrecken der EU wiederhergestellt werden müssen“. Renaturierungen seien wesentlich sicherer und praktikabler als technische Lösungen.

WWF-Studie: EU-weite Renaturierungen können riesige Mengen CO2 binden – WWF Österreich

Kurz gemeldet

Die Zukunft der Windkraft liege auf hoher See, weil sich rund 80 Prozent der Windressourcen über der Tiefsee befinden. Auch 200 Meter lange Rotorblätter seien kein Problem, so die Energieforscherin Lucy Pao.

https://science.orf.at/stories/3211864/

Vor dem Anstieg von Gletscherseen in Zentralasien warnt ein Forscherteam der Universität Innsbruck. Der Gletscherschwund in Folge des Klimawandels könnte zu einer Verzehnfachung der Wassermenge in den hoch gelegenen Becken führen – mit der Gefahr von Dammbrüchen und Flutwellen.

https://science.orf.at/stories/3211799/

Das Zeitfenster schließt sich

Hörtipp

Die Anpassungen an die Klimaerwärmung werden Geld kosten. Aber sie werden billiger sein als nachträgliche Reparaturmaßnahmen. Das sagt die Ökonomin Birgit Bednar-Friedl in den DIMENSIONEN.DISKUSSIONEN. Sie ist Mitautorin des jüngsten IPCC-Berichts. Darin hat der Weltklimarat unter anderem darauf hingewiesen, wie wichtig gesunde Ökosysteme sind, um uns vor negativen Auswirkungen der Erderwärmung zu schützen. Gleichzeitig klafft aber eine große Lücke zwischen dem, was getan werden sollte, und dem, was tatsächlich umgesetzt wird. So ist der Globus mit den derzeitigen Maßnahmen auf dem Weg zu einer 2,7 Grad-Erwärmung – und damit weit weg vom 1,5 Grad-Ziel.

https://oe1.orf.at/nachhaltigleben/oekologie