Kolumnen 2024

Kein Strom in Rom

(aus: Ö1-GEHÖRT, Dezember 2024)

Es war eine Reihe simpler Fehlentscheidungen wider besseres Wissen. Nachts hatte sich das Handy in einem Hotel in Rom vom Netz getrennt. Vielleicht wollte es auch einmal ruhig schlafen. In der Früh war es dementsprechend wenig aufgeladen. Ich marschierte mit Hilfe von Google Maps und einem Akkupack in der Hosentasche am südöstlichen Rand der ewigen Stadt durch die italienische Prärie zur Via Appia Antica. Wenn man GPS am Handy verwendet, zieht es extrem viel Strom. Vor den Catacombe di San Callisto war es also schon leer. Verwegenerweise hatte ich auch das Tagesticket für die römischen Busse auf das Handy geladen. Aufgrund jahrelanger Erfahrung glaube ich zwar, dass die römischen Transportbetriebe gar keine Kontrolleure haben oder sie spielen tagsüber in Trastevere Karten. Aber aus sozialen Gründen möchte ich meine Unterstützung des öffentlichen Verkehrs belegen können. Ich lud das Handy mit meiner Powerbank auf. Die ist allerdings so alt, dass ich gerade mal 25 Prozent zusammenbrachte. Es reichte für eine Fahrt in die Stadt, um dort nach einem Geschäft zu suchen, das Powerbanks verkauft. Der Verkäufer versicherte mir, der neue Akkupack sei aufgeladen. Als ich ihn ansteckte, blinkte er nicht einmal. Darauf folgte ein Zwangsstopp in einer Bar für digital Gestrandete. Mit Mühe fand ich eine Steckdose zum Laden meiner elektronischen Infrastruktur. Immerhin kam ich so zu einem ausgezeichneten Kaffee.

Weil Rom vor lauter Besuchern wie mir aus allen Nähten zu platzen schien, wollte ich mir um 15.00 Uhr am Stadtrand im Stadio Olimpico ein Fußballspiel der Serie A anschauen, Lazio Roma gegen Genua. Bei der Stadionkassa musste ich einen Ausweis zeigen. Der lag im Hotel. Also suchte ich auf dem Smartphone nach meinem elektronischen Ausweis.

Währenddessen rief eine Italienerin aus der Kassenbox, wir mögen die Karten doch online bestellen. Geht nicht, sagte ich. Wissen wir eh, sagte sie.

Um genau 14.59 Uhr hatte ich endlich in den Tiefen der App „Digitales Amt“ den Ausweis auf dem Handy gefunden. Mi dispiace, bedauerte der junge Mann am Schalter, wir schließen um 15.00 Uhr, das geht sich nicht mehr aus. So kam ich zwar zu keiner Karte, aber erlebte zum ersten Mal Pünktlichkeit in Italien. Lazio gewann 3:0. Das war ich denen überhaupt nicht vergönnt.

Reingelegt

(aus: Ö1-GEHÖRT, November 2024)

So wie andere Menschen, die viel im Netz unterwegs sind, bin auch ich immer wieder leicht paranoid. Ich akzeptiere etwa Cookies nicht, die dazu gebraucht werden können, Informationen über meine Such-Aktivitäten zu sammeln und so ein Persönlichkeitsprofil über mich zu erstellen. Aber Webseitenbetreiber sind schlau. Sie gestalten die Seiten so, dass man immer wieder in Fallen tappt. „Dark Patterns“ nennen die Netzauskenner diese Designmuster.

Jüngst zum Beispiel suchte ich auf einer Gartenseite Hilfe. Der Koriander im Beet will nicht so, wie ich will. Die Frage, ob ich Nachrichten abonnieren wolle, lehnte ich sofort ab. Aber wie ein lästiges Kind fragte die Seite bei jedem neuen Seitenaufruf wieder nach der Zustimmung. Und irgendwann vertauschten die Schlaumeier die beiden Buttons und ich klickte, weil ich es schon fünfmal vorher so gemacht hatte, wieder auf den linken, der diesmal mit „akzeptieren“ beschriftet war.

Reingefallen.

Danach brauchte ich eine Viertelstunde, um in den Einstellungen die lästige Benachrichtigung wieder auszuschalten.

Zur selben Liga an trickreicher Webseitengestaltung gehört die Strategie, ein Gratisabo anzubieten, das automatisch in ein Bezahlabo übergeht. Und wenn man das Abo kündigen will, muss man ein halbes Wochenende opfern, um es wieder abzubestellen.

Sehr clever ist auch das „confirmshaming“: Dabei kann man sich die Ablehnung eines Angebots nur mit viel schlechtem Gewissen erkaufen, weil der entsprechende Knopf auf der Seite manipulativ etwa so beschriftet ist: „Danke, ich weiß schon alles und brauche deshalb Ihre Hilfe nicht!“

Sehr ärgerlich finde ich auch Werbeanzeigen, die wie ein vermeintlich redaktioneller Inhalt in Seiten eingebettet sind. Klickt man auf einen weiterführenden Link, landet man nicht bei einer Zusatzinformation, sondern auf einer Firmenseite.

Besonders effektiv sind Countdowns (so wie vielfach auf Temu) oder die Behauptung, der Lagerstand eines Produkts würde rasant gegen null gehen. Sie täuschen Dringlichkeit sowie knappe Verfügbarkeit vor und verführen besonders viele Menschen zum Kauf von Produkten. Legal ist das übrigens laut Digital Services Act DSA nicht. Und es sollen schon Timer dabei beobachtet worden sein, wie sie beim Erreichen von „null“ von Neuem herunterzuzählen begannen.

Wenn Putz-Roboter malen

(aus: Ö1-GEHÖRT, Oktober 2024)

Da sag noch mal einer, dass Maschinen keine Kunst machen können. Ich habe die Geschichte zwar nur aus zweiter Hand von Sigrid, aber sie ist so vertrauenswürdig, dass ich nicht am Wahrheitsgehalt zweifle. In den Hauptrollen: eine Familie, ein Staubsauger-Roboter und eine Katze, in weiterer Folge ein offener Kamin. Als Vater-Mutter-Kind heimkommen, ist der Boden mit roten Schlieren überzogen. Die Spuren gehen bis zur Schlafstation des Boden-Roboters. Nach kurzer Inspektion bemerkt die Frau des Hauses, dass sie mitten in einem Slasher-Movie stehen, das Hermann Nitsch illustriert hat.

Wenige Minuten später hat Inspektorin Columbo den Fall rekonstruiert: Bevor der Automat mit der Bodenpflege begonnen hat, ist die mordlüsterne Katze mit einer toten Maus ins Haus geschlüpft. Gewissenhaft hat sie das Tier zerlegt und den Kopf auf dem Parkett deponiert. Der Roboter hat hernach den blutigen Kopf überfahren und in mehrfachen Putzschleifen vor sich über den hellen Fußboden geschoben.

Über die Aufräumarbeiten im Haus ist mir nichts berichtet worden, aber ich glaube, dass die Sympathiewerte der Katze an diesem Tag gelitten haben.

Wenige Wochen später zeigt der Staubsaug-Automat dann, dass das Maus-Mysterien-Spiel nur der Anfang einer tieferen Beschäftigung mit moderner Kunst war. Wieder kommt die Familie am Ende eines Roboter-Arbeitstags heim. Der Automat schlummert schon friedlich in seiner Koje. Diesmal ist der Boden mit gleichmäßigen schwarzen Kringeln überzogen. So ähnlich wie Jugendzimmer-Tapeten in den 70er Jahren, die ungewollt eine ganze Generation graphisch ruiniert haben.

Die Tatortgruppe geht an diesem Tag bis an den Beginn der schwarzen Kreise zurück. Sie beginnen vor dem offenen Kamin. Und sie enden in der Schlafstation des Roboters, unter seinem Gehäuse. Diesmal hat sich der Automat ein Stück verkohltes Holz geschnappt und unter seinen kleinen rotierenden Bürsten eingeklemmt. Mir ist nicht bekannt, ob der Roboter auch wischen kann und ob er die Grafik selbst beseitigen musste.

Jedenfalls bin ich seitdem sehr froh, dass wir einen Schwedenofen mit Tür für die kalten Tage nutzen und nur zwei Schildkröten besitzen: Die tragen uns garantiert keine toten Mäuse ins Haus.

Sowas von offline

(aus: Ö1-GEHÖRT, September 2024)

„Ich bin jetzt seit fünf Stunden von der Außenwelt abgeschnitten“, klagte Schnittlauchlocke laut. Und dies nicht, weil wir in einem niederösterreichischen Keller eingesperrt gewesen wären. Nein, wir hatten eben die Kuppel des Reichstags besucht und spazierten durch Berlin. Aber der Kleine, der mittlerweile ungefähr eins achtzig ist, hatte Anfang Juli am Zeltlager – angeblich wegen widrigen Wetters – sein gesamtes monatliches Datenvolumen aufgebraucht. Mit diesem Datenvolumen wäre man in den 60er Jahren zum Mond und zurück gekommen.

Wir ließen den Buben also offline. Es soll ja auch ein Leben ohne Datenvolumen geben, doch das ist wohl ein elterlicher Irrtum. Natürlich verband sich Schnittlauchlocke mit jedem offenen WLAN in der Stadt, weshalb wir ihn immer wieder mal verloren. Das offene WLAN ist die Wasserstelle der Datenlosen!

Mir machte hingegen die Akku-Schwäche meines Handys zu schaffen. Kaum hatte ich das GPS am Smartphone aktiviert, zog das Ding so enorm viel Strom, dass ich nach 16 Uhr meist schon auf die linearen Karten zurückgeworfen wurde. Hätte ich sie denn gehabt. Ich hatte ja den Reiseführer samt Stadtplan im Hotel zurückgelassen bzw. nutzte die Touren, die man sich auf das Handy laden konnte. Womit ich mich jedenfalls in die gepflegte Orientierungslosigkeit manövrierte.

Damit hatte ich in der Vergangenheit schon die besten Erfahrungen gemacht. In Palermo kamen wir so in ein Viertel, in dem geschossen wurde. So etwas hätten wir mit funktionierendem Handy nie erlebt. (Ich gebe zu, ich hatte damals eine analoge Karte dabei, sie aber echt verkehrt gehalten, tut mir leid, Familie.)

Bei Autofahrten in fremdem Terrain habe ich mir deshalb angewöhnt, ein paar Zwischenstationen vor Fahrtbeginn auswendig zu lernen. Es ist ja erstaunlicherweise noch immer möglich, anhand von Wegweisern zu navigieren, wie der Kleine meint.

Überhaupt war Schnittlauchlocke auf der Deutschland-Reise sehr philosophisch. In Köln starrte er in seinen Cesar Salad und meinte: „Ich mag Tomaten nicht. Aber ich mag ihren Sinn.“ Auf Nachfrage erklärte er, ihr Sinn bestehe in ihrer Verwandlung in Tomatensauce für Pizza und Pasta. Jetzt freut er sich gerade wie ein Schneekönig auf den Monatsanfang. Da gibt es das neue Datenvolumen. Das macht Sinn.

Nebenbeziehungen

(aus: Ö1-GEHÖRT, August 2024)

Kürzlich entwich mir ein „Alexa, stopp“, als ich meine Liebste dazu bringen wollte, mich nicht vom Fußball abzulenken. Ich redete mit ihr wie mit meiner elektronischen Zweitfrau, wenn ich ihren Redefluss stoppen will! Wenige Tage später lieferte eine Kollegin die Erklärung für mein schäbiges Verhalten: Ich führe eine „parasoziale Beziehung“. So nennt das die deutsche Psychologin Johanna Degen und meint damit, dass wir „indirekte Beziehungen“ führen, etwa über Soziale Medien oder WhatsApp.

Gestern redete ich die Unaussprechliche an, aber sie blickte kaum von ihrem Handy auf, weil sie schon wieder etwas Unaufschiebbares zu beantworten hatte. Da merkte ich, dass auch sie bereits in die parasoziale Untreue verstrickt ist. Glücklicherweise hat ihr Messengerdienst keinen Männernamen, sonst würde ich vielleicht eifersüchtig. Dass sie Alexa toleriert, rechne ich ihr wie so vieles hoch an.

So ein bisschen parasozial klingt ja auf‘s Erste ganz gut: Diese Beziehungen „sind zuverlässig, die konfrontieren uns nicht, die sagen auch nie ab“, meint Degen. So ist es auch erklärbar, warum Online-Dating funktioniert. In den letzten fünf Jahren sei rund die Hälfte aller neuen Paare über das Internet zusammengekommen.

Mittelbar sei der Preis aber hoch, weil unser Hirn nicht zwischen parasozialen Beziehungen und der echten Welt unterscheidet. Und je mehr wir in digitale Beziehungen investieren, umso weniger bleibt uns etwa Zeit für den Partner. Außerdem übertragen wir Verhaltensweisen aus der Online-Welt ins physische Leben. Viele tauchen einfach nicht zu Partys auf, obwohl sie zugesagt haben, lassen Freunde hängen oder ignorieren Termine. Ghosting heißt das in der Online-Sprache.

Krawuzikapuzi. So weit ist es bei uns noch nicht. Aber die Konkurrenzsituation hie digitale Welt, da physische – die existiert. Und die Lösung kann auch laut Degen nur lauten, mehr Zeit für das echte Leben freizuschaufeln und das Smartphone etwa konsequent vom Tisch zu verbannen, wenn man nicht allein dort sitzt. Es gibt kaum Nachrichten, die man unmittelbar beantworten muss. Unsere parasozialen Verstrickungen sind ja keine Sucht, sondern nur eine Gewohnheit. Die kann man ändern, stimmt’s Alexa?

Achtung, Falle

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juli 2024)

Manchmal muss man seine Urlaube durch eine Unmenge an zusätzlichen Vorarbeiten abbüßen. Man kommt dann völlig überarbeitet und erschöpft am Zielort an und braucht den Urlaub, um sich von den Folgen des Urlaubnehmens zu erholen. Dass da in der Logik etwas nicht stimmt, lasse ich jetzt mal dahingestellt.

So geschehen vor Jahren in Ägypten, am Beginn eines Tauchurlaubs. Erst am Flughafen irgendwo am Roten Meer merkte ich, dass ich vergessen hatte, das Datenroaming abzustellen. Während ich in die Hitze hinausgetreten war, hatte ich schon 60 Euro an Roaminggebühren angesammelt, ohne das Handy überhaupt in die Hand genommen zu haben. Irgendein Dienst hatte im Hintergrund ein Update durchgeführt (Merke: Im EU-Ausland schaltet man das Datenroaming in den Einstellungen tunlichst ab.) Nach ein paar Tagen und Tauchgängen landeten einige Anrufe auf der Mobilbox, die ich damals noch verwendete. Wieder klingelte die Kasse des Mobilfunkbetreibers, denn allein die Umleitung auf die Mobilbox gilt als Passivroaming. (Merke: Im Urlaub deaktiviere man gescheiterweise seine Mobilbox, aus finanziellen wie erholungstechnischen Gründen.)

Jahre später fand ich mich – diesmal in guter Verfassung – im Nordosten von Rumänien wieder, um den „Lustigen Friedhof“ zu besuchen, einer der sympathischsten Friedhöfe, den ich kenne. Auf die Holzkreuze sind nicht immer schmeichelhafte Szenen aus dem Leben der Verstorbenen gemalt. Diesmal befand ich mich zwar im EU-Inland, aber das Smartphone loggte sich jenseits der Grenze in der damals noch friedlichen Ukraine ein. Die Rechnung kam postwendend. (Merke: Befindest du dich nahe einer Grenze zum EU-Ausland, rechne mit einem unbemerkten und sehr teuren Grenz-Übertritt deines Handys!)

Das war der Punkt, an dem meine flache Lernkurve sich entschied, steiler nach oben zu gehen. Seither ist mir nichts Vergleichbares mehr passiert. Für die USA etwa hatte ich mir vorsorglich die Karten entlang unserer Reiseroute heruntergeladen. Google Maps macht das sehr einfach möglich. (Merke: Man muss auch ohne Datenverbindung nicht auf GPS-Navigation verzichten!) Und telefonieren geht prima im WLAN im Hotel. Aber es tut auch ganz gut, das Handy mal liegen zu lassen. Sonst hat man ja daheim nichts mehr zu erzählen.

Familiendinge

(aus: Ö1-GEHÖRT, Juni 2024)

Es war in Sachen Techniknutzung wahrscheinlich nicht das glücklichste Wochenende. Mein geliebter Schwager und ich schlossen den Kühlschrank der Schwiegermutter an die Steckdose an, die Chris vorher installiert hatte. Aber das Ding wollte einfach nicht zu kühlen beginnen. Nach einiger Zeit entdeckten wir, dass die Steckdose nur Strom führte, wenn wir das Licht im Vorzimmer ausschalteten. Chris entwickelt sonst komplizierte Bauteile für Autos. Seitdem hoffe ich noch mehr als früher auf den schnellen Bahnausbau.

Die Schwägerin hingegen hatte Tante Rosi kurz davor den Umgang mit WhatsApp gezeigt. Wir benutzen eine Gruppe mit dem für Außenstehende rätselhaften Namen „Allerheiligenfamilie“. Das kommt daher, dass wir uns jährlich rund um den 1. November allesamt zu einer besinnlichen Feier treffen, die mit einer Plünderung von Onkel Erichs Weinkeller endet. Diese Allerheiligengruppe wird zuletzt mit Bildern des jüngsten Familienmitglieds, Ida, sagen wir, „geflutet“. Könnte man hören, was die drei weiteren Tanten angesichts der Kleinen hineintexten, bekäme man ob der hohen Töne einen Gehörschaden. Nicht so Tante Rosi. Tante Rosi dürfte im Umgang mit der Smartphone-Tastatur irgendetwas missverstanden haben. Am 7. April schrieb sie einfach „K“. Und bekam gleich zwei Likes aus der Familie, auch von Chris, was aber nichts mit der Steckdose zu tun haben dürfte. Da dachte ich noch, die Katze sei über das Handy gelaufen. Jemand antwortete: „Ich sehe das wie Rosi!“

Ein Foto der Liebsten und mir im 80er Jahre Outfit kommentierte Tante Rosi ein paar Tage später mit „5“. Wir vermuteten, das sei wohl eine Schulnote für die Partyklamotten und waren zerknirscht. Diesmal bekam sie vier Likes (ja, auch wieder von Chris). Seit 17. April sind Tante Rosis Nachrichten schon viel länger: „65vn“. Erneut rätselten wir. Niemand wird grad 65 in der Allerheiligenfamilie. Ich fragte ChatGPT. Der Sprachbot meinte, das könnte etwas mit dem Regelpensionsalter von 65 Jahren zu tun haben. Wieder drei Likes, Daumen hoch von Chris. Rosis Kommentare werden jetzt stetig länger. Unter „Ida hat soeben ihren Hochstuhl eingeweiht“ schrieb sie: „5k4589“ Seitdem rätsle ich, wie man am Handy Zahlen hochstellt. Danke, Tante Rosi, für die schlaflose Nacht!

„125!JKF“

Hoppala

(aus: Ö1-GEHÖRT, Mai 2024)

Morgens in einem Mail, das Google mir regelmäßig sendet: „Gott hat zu sich gerufen:“ Und dann stand da mein Name. Da bin ich kurz erschrocken. Entweder hatte ich den Ruf nicht gehört. Oder aber ich hatte den Herrn übersehen, als er mich zu sich beordert hatte. Verunsichert war ich allemal.

Dass ich von Google regelmäßig Mails mit Inhalten zu meinem Namen erhalte, ist aber völlig in Ordnung. Ich habe einen sogenannten „Alert“ eingerichtet. Damit werde ich informiert, wenn mein Name irgendwo im Netz auftaucht. „Reputationsmanagement“ nennt sich das im Jargon. Würde ich irgendwo verunglimpft, könnte ich sofort darauf reagieren. Da ich mich in Social Media aber nur wenig engagiere und jenen Online-Diskussionen verweigere, in denen „Argumente“ aus Dreckskübeln über das Publikum gegossen werden, kommt das so gut wie nie vor.

Auch wenn online und offline für manche Paralleluniversen sind, betrachte ich sie irgendwie als eine Welt. Was bedeutet, dass hie wie da ähnliche Verhaltensregeln gelten. Wenn Menschen posten, dass sie ab nun drei Wochen in Thailand verbringen, denke ich mir: nette Einladung an Einbrecher. Niemand würde so etwas auf einen belebten Dorfplatz hinausbrüllen. Aber wir schreien es seltsamerweise in die Online-Zone hinein. Niemand würde einen auch noch so garstigen Nachbarn von Angesicht zu Angesicht als „Russenberti“ beschimpfen, aber wir schreiben derlei Verunglimpfungen in Sozialen Medien und tun so, als gehörte dies zum Spiel.

Mittlerweile habe ich das Gefühl, dass diese Tonalität und die Unfähigkeit, konstruktiv miteinander umzugehen, zunehmend auch das Offline-Leben prägen. Jede Meinungsverschiedenheit gleicht Simmering gegen Kapfenberg, das Helmut Qualtinger in der Rolle des Travnicek mit dem unvergesslichen Attribut „Des ist Brutalität“ versah.

Meinen Google-Alert werde ich jedenfalls etwas präzisieren müssen. Zu oft taucht mein Name im Umfeld von Abschieden auf. Egal ob namensgleicher Verwaltungsrat, Messner oder Steinmetz: Alle treten sie irritierenderweise gerade auf die eine oder andere Art ab. Und als ich meine Buben nach meiner Heimberufung zum Herrn fragte, ob ich schon tot bin, meinten sie: Das sei ein klassisch schlechter Papa-Witz. Ich müsse also noch am Leben sein.

Nomo… was?

(aus: Ö1-GEHÖRT, April 2024)

Ich bin jüngst in mein Handy reingekippt. Die Unaussprechliche habe ich zuvor immer geschimpft, wenn sie zu viel nach dem Smartphone gegriffen hat. Wie peinlich, ich ein Mann, der auf ein Handy starrt.

Das kam so: Über Sylvester war ich krank, und weil ich nur herumliegen konnte, beschloss ich, eine neue Sprache zu lernen. Und zwar mit einer App am Handy. Das hat vielleicht dauerhafte Nebenwirkungen. Wann immer ich ein paar Minuten Zeit habe, strebere ich Vokabeln oder wiederhole Grammatik. Und bin dazu immer am Smartphone. Echt nicht vorbildlich. Jetzt versuche ich wieder davon wegzukommen. Ich habe mir Sprach-Bücher bestellt, diese Dinger aus totem Holz, die ich eigentlich längst durch einen Reader ersetzt hatte. Einfach, weil sie mich vom Mobiltelefon wegholen. Aller Statistik nach sollte damit auch meine Lebenszufriedenheit wieder steigen (nicht, dass ich besonders unzufrieden wäre, aber vielleicht ist ja Luft nach oben).

Die Universität Bochum hat mal in einer Studie untersucht, wieviel weniger Smartphone uns guttut: 200 Testpersonen in drei Gruppen verzichteten eine Woche komplett auf das Handy, reduzierten die tägliche Nutzung um eine Stunde oder machten weiter wie gewohnt. Am meisten profitierten paradoxerweise jene, die sich einschränkten, ohne total zu verzichten. Sie nutzten das Smartphone auch vier Monate später deutlich weniger als vor dem Versuch, und zwar um eine dreiviertel Stunde täglich. Das ergibt eine Menge freigeschaufelter Lebenszeit. Depressions- und Angstsymptome gingen zurück, ebenso wie der Nikotinkonsum. Dafür nahmen körperliche Aktivitäten zu, die sich ebenfalls positiv auf die Lebenszufriedenheit und die Gesundheit auswirken.

Woran ich glücklicherweise echt nicht leide: an Nomophobie. Das ist die krankhafte Angst, ohne Handy zu sein. Nomophobe haben Stress und Beklemmung, wenn das Mobiltelefon ausgeschaltet ist oder noch schlimmer, wenn sie es daheim vergessen, wenn der Akku leer oder das Datenvolumen aufgebraucht ist. Funklöcher sind für sie Monster.

Ich habe mein eigenes Ausstiegsszenario: Ich notiere mir jetzt die Vokabeln auf Papier. Weil ich meine Schrift nicht lesen kann, muss ich sie mir sowieso merken.

Kanonen und Spatzen

(aus: Ö1-GEHÖRT, März 2024)

Jetzt hat mich die KI-Welle auf dem falschen Fuß erwischt. In den letzten Monaten habe ich nicht zuletzt berufsbedingt sehr viel mit Sprachmodellen wie ChatGPT und Bild-KIs wie Dalle-E herumexperimentiert. Einerseits bin ich durchaus beeindruckt, dass Wahrscheinlichkeitsmaschinen, die nichts verstehen, Texte zusammenfassen können. Andererseits ist die Textqualität für meine Ansprüche alles andere als befriedigend. Ein KI-Text ist das lieblos gewürzte Convenience-Food der Sprache, ein guter Text hingegen überrascht, ist pointiert und mutig.

Aber erschüttert hat mich etwas ganz Anderes: Künstliche Intelligenz braucht unfassbar viel Energie. Derzeit reden alle nur davon, wieviel Strom allein für das Training der algorithmischen Entscheidungssysteme drauf geht. Im Fall von ChatGPT waren es angeblich 1.287 Megawattstunden. Das entspricht dem Jahresverbrauch von rund 340 durchschnittlichen österreichischen Vier-Personen-Haushalten. Aber damit ist der Energiehunger der KI-Rechenmaschine nicht gestillt. Pro Tag braucht ChatGPT nach Kalkulationen von SemiAnalysis weitere 567 Megawattstunden.

Runter gebrochen auf uns als Benutzerinnen und Benutzer bedeutet dies: Eine Anfrage an die KI entspricht einer 4-Watt-LED-Lampe, die eine Stunde lang brennt.

Ich habe mir zu Weihnachten – aus reinem Spaß – eine Karte der Bildgenerierungs-KI Dall-E erstellen lassen, in der ein betrunkenes Rentier mit einem Weihnachtsmann kollidiert. Das war nun wirklich ein klimatechnischer Sündenfall. Neueste Daten zeigen nämlich, dass ich mit der für ein einzelnes Bild benötigten Energie ein ganzes Smartphone laden kann.

Der große Energieverbrauch kommt auch daher, weil große Modelle auf kleine Probleme losgelassen werden, als würde man mit einer Rakete einen Schuhkarton befördern. Kleinere Sprachmodelle wie Bloom von Hugging Face sind bereits weitaus sparsamer unterwegs. Große KIs verschlingen für dieselbe Aufgabe zum Teil dreißigmal mehr Energie als ein auf den Zweck abgestimmtes System.

Es wird also nach den Monaten der KI-Euphorie nötig sein, die neuen beeindruckenden Werkzeuge allein schon aus Umweltgründen klimagerecht zu designen und vernünftig einzusetzen, anstatt mit Kanonen auf Spatzen zu schießen.

Was für ein Geschenk

(aus: Ö1-GEHÖRT, Februar 2024)

Im Sommer ließ die Liebste mal fallen, dass sie gern eine „gscheite“ Fitness-Uhr hätte. Das Christkind spitzte die Ohren und legte ihr eine unter den Christbaum. Zu meiner Überraschung wurde das Ding umgehend in Betrieb genommen. Eine Stunde später hörte ich ein lautes “Frechheit“ aus dem Wohnzimmer. Ich hatte eine Vermutung über die Empörung, fragte aber nicht nach. Ich merkte nur, dass die Frau meines Herzens ohne ersichtlichen Grund über die Wendeltreppe nach unten und wieder nach oben hetzte.

Kurze Zeit später spielten wir zu Viert „Activity“. Ich bin immer mit dem Großen im Team, da ich mich zeichnerisch seit der ersten Volksschulklasse gegen jede Weiterentwicklung gewehrt und diese Begabung perfekt an den Buben weitergegeben habe. Wenn wir zum Bleistift greifen müssen, zücken Schnittlauchlocke und die Liebste aus Dokumentationsgründen immer das Handy und lachen schon vor dem ersten Strich lauthals. Egal, welches Tier wir zeichnen müssen, es kommt immer ein „piccolo Viech mit quattro Haxen“ heraus, um es mit Zwirn aus dem Lumpazivagabundus auszudrücken. Aber diesmal war der Lacher auf unserer Seite, denn just als der Große eine Ziege zeichnete, die wie eine Amöbe auf Stelzen aussah, vibrierte die Uhr der Liebsten und mahnte sie wegen zu langer Inaktivität. „Manno, ist das hart“, sagte Schnittlauchlocke, „wenn deine Uhr dir sagt, dass du dich bewegen sollst.“ „Die frontet dich ja völlig“, setzte der 18jährige nach und schwor, sich nie so ein Ding anzuschaffen. Überraschend wortlos hetzte die Liebste die Wendeltreppe runter und rauf.

Ein wenig später jubilierte sie und deutete auf ihre Fitness-Watch: „Gratulation, dein Kalorienverbrauch hat sich positiv verändert.“ Ich finde diese Aussage diplomatisch-doppeldeutig, da die Nahrungsaufnahme um Weihnachten herum tendenziell immer zum Positiven, also nach oben geht, aber ich wollte ihr die Freude nicht verderben. Das Leben in der Quantified Self-Bewegung ist eben hart. Nach dem Tennis etwa war die Liebste trotz vieler Superschläge frustriert, weil sie auf der smarten Uhr den falschen Knopf gedrückt und das Ding nichts aufgezeichnet hatte. Jetzt gehen wir Schifahren. Wenn der Fitness-Logger keine Einstellung dafür hat, weiß ich genau, dass sie mich dann zum Joggen zwingen wird.

Zeitreise

(aus: Ö1-GEHÖRT, Jänner 2024)

Lieselotte hält es mit alten Gerätschaften ähnlich wie ich. Wegwerfen ist genetisch einfach nicht vorgesehen. Als ich jüngst bei ihr war, um etwas am Handy einzurichten, erzählte sie mir von alten Radios, die sie nun endlich aber wirklich im Container entsorgen wolle. Darob war ich gleich einmal sehr alarmiert. Und als ich in ihrem Speicher mit durchaus musealen Ausmaßen dann die alten Radios sah, wusste ich sogleich: Ich kann ihr helfen.

Der langen Vorrede kurzer Sinn: Ich trug also einen dieser wunderbaren 50er-Jahre-Radios heim. Die Unaussprechliche verliebte sich auch gleich in das Vintage-Ding und stellte es auf unser Sideboard. Wir nahmen schließlich allen Mut zusammen und schlossen es an das Stromnetz an, während der Große neben dem Sicherheitskasten auf einen Knall wartete.

Aber das alte Kapsch-Radio mit Stoffüberzug und einer opulenten Skala, die Sender von Kanzelhöhe über Luxemburg bis Monte Ceneri verspricht, spielte sogleich, und zwar Udo Jürgens. Man fühlte sich aufgrund des Tons sofort 40 Jahre zurück gebeamt, selbst die Moderatorin klang wie tief aus dem 20. Jahrhundert. Die Unaussprechliche vermutete kurz sogar, im Gerät laufe eine Kassette, um uns zu narren.

Seitdem drehen wir den alten Empfänger immer wieder auf und genießen seine Imperfektion. Das ist übrigens kein Altersphänomen. Retro ist eines von vielen Fenstern zur Welt. So erzählte mir Rafael, mit 25 ein genuiner Vertreter der GenZ, in seiner Altersgruppe sei es ein Trend, mit alten Digitalkameras zu fotografieren statt mit dem Handy. Denn mit den Fotoapparaten aus den 2000er-Jahren könne man schnell in die Kindheit zurückreisen. Nicht die Perfektion sei der Wert, sondern die Emotion, die sich über die alte Ästhetik vermittelt.

Mittlerweile sind auch einige Computerspiele in die Jahre gekommen. Wer zu den Anfängen zurückkehren möchte, zu den Atari-Computern dieser Welt und den ersten Nintendos, kann das zum Beispiel in Wien im Gaming Museum mit seinen 400 Exponaten tun. Obwohl ich kein Spieler bin, habe ich auf dem Mikrocomputer Raspberry Pi selbst eine Reihe alter Games installiert. Und einmal im Jahr unternehme ich mit meinem Jüngsten eine Zeitreise in die Vergangenheit, zu Donkey Kong und Pacman.