Fünf junge Menschen zwischen 17 und 31 haben am Dienstag eine Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingebracht. Sie klagen gegen den Energiecharta-Vertrag ECT bzw. gegen Regierungen, die weiterhin am ECT festhalten. Dieses umstrittene Gesetzespaket aus dem Jahr 1994 gibt Energiefirmen die Möglichkeiten, Staaten zu milliardenschweren Zahlungen zu zwingen, wenn diese ihre Energiepolitik ändern. Ein Ausstieg aus fossilen Energien wird damit doppelt kostspielig bzw. gebremst.
So haben etwa RWE und Uniper die Niederlande wegen seines Kohleausstiegs auf Milliarden geklagt. Umwelt-NGOs bezeichnen den Energiecharta-Vertrag als „Anti-Klimaabkommen“.
Insgesamt 12 Regierungen stehen jetzt vor dem EMRG in Straßburg, darunter auch Österreich.
„Mit dem Energiecharta-Vertrag ermöglichen die beklagten Regierungen ihren Unternehmen, legitime Klimaschutzmaßnahmen anderer Staaten anzufechten. Dies ist unvereinbar mit internationalen Klimaverpflichtungen im Rahmen des Pariser Abkommens und verstößt gegen die Verpflichtungen der Europäischen Menschenrechtskonvention“, wie die Pariser Anwältin Clémentine Baldon argumentiert. Sie vertritt die Kläger:innen. Im Detail argumentieren die fünf jungen Leute, dass eine Mitgliedschaft beim ECT u.a. das Recht auf Leben nach Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention verletze. Die 17jährige Julia etwa verlor bei den großräumigen Überflutungen in Deutschland und Belgien im Jahr 2021 ihr Elternhaus.
In der Kritik steht der Energiecharta-Vertrag seit langem. Laut Guardian könnte der ECT betroffene Staaten bis 2050 insgesamt 1.3 Billionen Euro kosten, wenn sie aus Kohle, Gas und Öl aussteigen. Auch der jüngste IPCC-Report warnte, dass ein Vertragswerk wie die Energiecharta die Klimaziele konterkarieren würde.
Deshalb versuchten die 53 Vertrags-Staaten das Papier Ende Mai zu reformieren und an das Pariser Klimaabkommen anzupassen. Wie erwartet, scheiterte das Vorhaben. Eine Änderung ist nur möglich, wenn alle Mitglieds-Länder zustimmen.
Obwohl der EuGH bereits 2021 die Energiecharta für Streitigkeiten zwischen EU-Ländern als ungeeignet erklärte, werden viele der 55 anhängigen Verfahren weitergeführt – sie liegen bei Schiedsgerichten, die nicht bereit sind, sich der Rechtsprechung des EuGH zu unterwerfen, wie das Umweltinstitut München schreibt.
Auch ein rechtliches Kurzgutachten der Arbeiterkammer kommt zum Schluss, dass der ECT „den Erfordernissen des dynamischen Energiesektors nicht gerecht“ wird und legt insgesamt einen Austritt aus dem ECT nahe.
Die EU plädiert derweil für einen langsamen Ausstieg aus dem Investorenschutz bis 2040. Das ist auch angesichts dessen zu zögerlich, als das ECT in krassem Widerspruch zu den EU-Klimaschutzzielen steht. Immerhin fünf Länder – Frankreich, Deutschland, die Niederlande, Polen und Spanien haben die EU-Kommission jetzt aufgefordert, Vorschläge vorzulegen, wie man den ECT früher aufkündigen könnte.
Positiveres aus Brüssel lesen Sie im ersten Beitrag dieses Newsletters.
Klima-Kompromiss
EU-Parlament
Nachdem es vor zwei Wochen noch abgelehnt worden war, hat sich das EU-Parlament diese Woche auf ein Klimapaket geeinigt. Es sieht vor, auch Gebäude und Verkehr in den Emissionshandel einzubeziehen. Der CO2-Ausstoß bekommt damit in diesen Sektoren einen Preis, ähnlich wie jetzt schon in der Industrie üblich.
Die kostenlose Vergabe von Zertifikaten für CO2-Emissionen soll ab 2027 graduell auslaufen und ab 2032 ganz eingestellt werden. Geplant ist auch eine Art CO2-Zoll für sehr emissionsintensive Importe wie Stahl oder Zement. Dies schützt zum Beispiel heimische Produkte, die klimafreundlicher erzeugt werden. Geplant ist die Abgabe ab 2026.
Zudem soll ein CO2-Sozialfonds geschaffen werden, da Klimaschutz zum Teil auch zu höheren Kosten führt, die Bezieher:innen niedriger Einkommen stärker treffen als finanzstarke.
Der Kompromiss ist Teil des EU-Klimapakets „Fit for 55“. Es hat zum Ziel, die EU-weiten Emissionen bis 2030, bezogen auf das Jahr 1990, um 55 Prozent zu senken. Noch ist der Plan aber nicht beschlossen, da neben dem Parlament auch die EU-Staaten den Pakt mittragen müssen.
Im zweiten Anlauf: EU-Parlament einigt sich auf Klimapaket – news.ORF.at
Die Zukunft ertrinkt in Plastik
OECD-Prognose
Bis 2060 wird sich unser Plastikverbrauch verdreifachen, schreibt die OECD in ihrem neuesten Report „Global Plastics Outlook“. Während die Industrieländer ihre Plastikmengen verdoppeln, steigt der Konsum in aufstrebenden Ländern in Sub-Sahara-Afrika und Asien noch weitaus stärker an.
Derzeit wird ungefähr die Hälfte des Plastikmülls deponiert, weniger als ein Fünftel recycliert, der Rest landet noch immer in der Umwelt.
Wenn es zu keiner Änderung im Umgang mit Plastik kommt, befürchtet die OECD eine Plastikflut auf dem Planeten:
- Der unkontrolliert entsorgte Plastikmüll verdoppelt sich bis 2060 auf 44 Millionen Tonnen pro Jahr.
- Schon derzeit treiben 140 Millionen Tonnen Plastikmüll in den Meeren und Flüssen. Diese Menge wird bis 2060 auf 493 Megatonnen steigen.
- Der Treibhausgasausstoß über den Lebenszyklus von Plastik verdoppelt sich bis 2060 auf 4.3 Gigatonnen pro Jahr.
Die OECD plädiert deshalb für eine Reduktion des Plastikverbrauchs und mehr Kreislaufwirtschaft. Dazu gehören auch haltbarere Produkte als bisher. Die könnten durch politische Maßnahmen wie eine Plastiksteuer gefördert werden, so die OECD im Bericht. Um die Umwelt zu entlasten, müsse man auch weitaus mehr Plastik sammeln und recyclieren.
https://www.oecd-ilibrary.org/environment/global-plastics-outlook_de747aef-en
Wort der Woche
SDG-washing
2015 beschlossen die Vereinten Nationen die Nachhaltigkeitsziele (SDGs). Bis 2030 sollten auf Basis von 17 Punkten wie „Abschaffung der Armut“ oder „Nachhaltiger Konsum“ Frieden und Wohlstand auf dem und mit dem Planeten gesichert werden. Passiert ist allerdings fast nichts. Das zeigt eine Studie der Universität Utrecht. Zwar würden sich sowohl Politik als auch viele Unternehmen zu den Zielen bekennen, aber kaum etwas umsetzen. „Die SDGs scheinen öffentliche Budgets und finanzielle Zuteilungsmechanismen in keiner wichtigen Weise verändert zu haben“, wie das Team um den Nachhaltigkeitsforscher Frank Biermann schreibt. Im Gegenteil würden politische und wirtschaftliche Eliten das SDG-Vokabular verwenden, um ihrer nicht-inklusiven Politik Legitimität zu verschaffen, also eine Art von „SDG-washing“ betreiben.
https://science.orf.at/stories/3213724/
Kurz gemeldet
Forscher:innen fordern einen „grünen Marshallplan“, um die Naturzerstörung zu stoppen. Aktuell gelten 22.000 Tier- und Pflanzenarten als gefährdet. Artenschutz ist auch Klimaschutz. Wie Expert:innen immer wieder betonen, müssten bis 2030 insgesamt 30 Prozent der weltweiten Landes- und Meeresfläche unter Schutz gestellt werden.
Im Herbst wird in Montreal die weltweite Biodiversitätspolitik bis 2050 beschlossen.
https://science.orf.at/stories/3213720/
Ohne Klimaschutz wird sich die Schneedecke in den Alpen bis Ende des Jahrhunderts halbieren. Am meisten wären die Südwestalpen davon betroffen. Bei einer schnellen Emissionsreduktion beschränkt sich der Schneeverlust auf 20%.
Auf schmalem Grat
Hörtipp
Die Alpen haben sich seit Beginn der Industrialisierung um 2 Grad erwärmt, und damit weit über dem globalen Durchschnitt. Die Winter werden kürzer und trockener, die Vegetationsperiode beginnt früher. Die mit der Klimaerhitzung verbundenen Starkregen wiederum lösen vermehrt Steinschläge aus. Sie werden zu 80% durch Wasser verursacht.
Wie der Klimawandel das Leben in den Alpen verändert, zeigen die DIMENSIONEN im Teil 2 der Reihe an der Jahreszeit Sommer.