8. April 2022
Das mediale Echo auf den dieswöchigen Bericht des Weltklimarats war „verhalten“, um es freundlich auszudrücken. Langfristige Entwicklungen verlangen Wiederholungen. Das ermüdet, im Vergleich zur adrenalingeladenen Aufregung durch punktuelle, chronikale Ereignisse. Auch wenn Aufregung angesichts des dritten Teils des 6. IPCC-Reports zu „Mitigation of Climate Change“ mehr als angemessen gewesen wäre. Deshalb hier noch einmal eine kurze Zusammenfassung.
Im Bericht haben sich die rund 300 Autor:innen mit den Maßnahmen beschäftigt, die zur Eindämmung der Erderwärmung dringend nötig sind. Immerhin war der Treibhausgasausstoß zwischen 2010 und 2019 so hoch wie noch nie zuvor in der Geschichte, auch wenn sich die Wachstumsraten verlangsamt haben. So ist bis 2030 eine CO2-Reduktion (bzw. seiner Äquivalente) von 43 Prozent notwendig, bei einem angenommenen Emissionshöhepunkt im Jahr 2025. (Die reichsten 10 Prozent der Weltbevölkerung verursachen übrigens 40 Prozent der weltweiten Treibhausgase.) Geht es ohne neue Maßnahmen weiter, ist die Erde im Jahr 2100 wahrscheinlich um 3,2 Grad wärmer.
Was ist aber nun zu tun? Unsere Energieerzeugung muss wegkommen von fossilen Rohstoffen. Die Chance dazu ist längst da. Immerhin sind die Kosten für Solarenergie und Lithium-Ionen-Batterien seit 2010 um 85 Prozent gesunken, jene für Windanlagen um 55 Prozent. Auch Industriebetriebe können ihre Prozesse weg von Erdgas, hin zu erneuerbaren Gasen, etwa Wasserstoff, umstellen. Das sei zwar „herausfordernd, aber möglich.“
Ein großes Potential sieht der Bericht in Städten, etwa durch Umstieg auf Elektromobilität, aber auch im Gebäudebau. Durch klimafreundliche Neubauten und Renovierungen könnten bis 2050 rund 42 Prozent der Gebäudeemissionen eingespart werden.
Großes Potential hat auch die Landwirtschaft. Biologische und mit Kompost gedüngte Felder binden etwa 1.700 Kilogramm CO2 pro Hektar und Jahr, wie ich diese Woche in Ilse Hubers DIMENSIONEN über Biostädte gelernt habe. Mit Kunstdünger behandelte Flächen emittieren hingegen 2.000 Kilogramm. Es fehlt also nicht an Alternativen.
Der Weltklimarat hat übrigens auch vorgerechnet, dass ein großer Teil der notwendigen Maßnahmen relativ billig zu erreichen ist. So liegen die Kosten pro vermiedener Tonne Kohlendioxid unter 100 Euro, wenn wir den Treibhausgasausstoß bis 2030 auf die Hälfte von 2019 reduzieren wollen. Ein großer Anteil dieser Klimaschutzmaßnahmen komme zu einem Preis von unter 20 Euro „aus der Wind- und Solarenergie, von Verbesserungen der Energieeffizienz, weniger Zerstörung ökologischer Ressourcen und der Reduktion von Methan-Emissionen aus Kohle, Öl, Gas und Abfall.“
Und auch wenn es vor allem politischer Konzepte bedarf, um uns vor einem heißen Globus zu bewahren: Verhaltensänderungen, etwa durch weniger Fleischkonsum oder eine stärkere Nutzung von öffentlichem Verkehr, könnten den privaten Treibhausgasausstoß bis 2050 um 40 – 70 Prozent verringern.
Kosmetische Maßnahmen werden es allerdings nicht tun. Wir brauchen einen „Systemwandel“, wie der Südtiroler Klimaforscher Georg Kaser meinte. Denn die Zeit drängt. Wollen wir auch nur in die Nähe des 1,5 Grad-Ziels kommen, müssen wir bis 2050 klimaneutral sein. Lassen wir uns auf das 2 Grad-Experiment ein, haben wir noch bis 2070 Zeit.
Ich habe dieser Einleitung diesmal eine Menge unterschiedlichster Quellen und Kurzfassungen, von orf.on bis zu den scientists4future, angehängt. Einfach, weil es sich lohnt, sich mehr als nur ein paar Minuten mit unserer Zukunft zu beschäftigen.
Ihr
Franz Zeller
https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg3/
https://orf.at/stories/3257937/
https://science.orf.at/stories/3212384/
„Jetzt oder nie“: Klimabericht fordert radikale Einsparungen – news.ORF.at
Weltklimarat fordert sofortige drastische Einsparungen – Spektrum der Wissenschaft
https://www.bbc.com/news/science-environment-60984663
„Negativemissionen“
Kunstwort der Woche
Von Negativemissionen spricht man, wenn CO2 wieder aus der Atmosphäre geholt wird. Das braucht aber Energie und außerdem Platz, um es sicher zu speichern. Da wir laut IPCC-Autor:innen nur mehr eine Dekade haben, um den Klimaschutz auf Schiene zu bringen, könnten Negativemissionen zu einer Art Notfallprogramm werden, mit dessen Hilfe wir morgen die Treibhausgase von heute teuer wieder entfernen. Dass für die privatwirtschaftlichen Gewinne in der Gegenwart, in der Zukunft die Allgemeinheit zahlen wird müssen, ist absehbar.
Klimaerwärmung: Negativemissionen als Lösungsansatz – science.ORF.at
Hitze macht krank
2 Studien und 1 Kommentar
Zwischen 2030 und 2050 wird es weltweit jährlich 250.000 zusätzliche Todesfälle geben, die mit der Erderwärmung zu tun haben, so die WHO. Sie werden vor allem auf das Konto von Mangelernährung, Malaria, Durchfall und Hitzestress gehen.
Die Luftverschmutzung durch fossile Brennstoffe fördert zum Beispiel die Verbreitung von krankmachenden Pilzsporen oder verschlechtert die Gehirnleistung und die Lungenfunktion.
Extreme Temperaturen erhöhen auch die Wahrscheinlichkeit eines Hitzeschlags sowie von Herz-Kreislauf- oder Nierenproblemen. Gleichzeitig verbreiten sich im wärmeren Klima Mosquitos, Zecken und andere krankmachende Insekten stärker, weshalb neben Malaria auch das West Nil- oder Chikungunya-Fieber häufiger werden könnten.
Laut einem Bericht vom Mai 2021 sind auch die Kosten aus diesen Krankheitsfällen erheblich. Sie sollen in den USA schon derzeit bei 800 Milliarden jährlich liegen.
Wie ganz neue Daten der WHO aus Afrika zeigen, waren 56 Prozent der zwischen 2001 und 2022 untersuchten gesundheitlichen Notfälle klimabedingt. 40% davon verursachten Krankheiten, die über das Wasser übertragen werden. Bei Kindern unter 5 Jahren sind Durchfallerkrankungen die dritthäufigste Todesursache. „Durch Mücken oder Zecken übertragene Krankheiten – insbesondere Gelbfieber – machten demnach 28 Prozent der klimabedingten Notfälle aus“, schreibt science.orf.at.
https://orf.at/stories/3258268/
An Tagen mit extremer Hitze (im Schnitt 34 Grad Celsius) suchen 66 Prozent mehr Menschen die Notfall-Ambulanzen von Spitälern auf als bei normalen Temperaturen. Das zeigt eine im British Medical Journal veröffentlichte Studie. Das Team dahinter hat dazu Daten von 70 Millionen Menschen aus den USA und 22 Millionen Ambulanzbesuchen ausgewertet. Überraschenderweise war die Altersgruppe zwischen 18 und 64 mehr von der Hitze betroffen als ältere Menschen.
Kurz gemeldet
Ozonschwund in der Höhe und ein Übermaß an bodennahem Ozon heizen das Südpolarmeer auf. Die beiden Phänomene sind für 30 Prozent seiner Erwärmung verantwortlich.
https://science.orf.at/stories/3212325/
Österreich hat bereits am 6. April seinen individuellen „Welterschöpfungstag“ erreicht. Das ist jener Zeitpunkt, an dem das Land jene Ressourcen aufgebraucht hat, die ihm im Sinne der Nachhaltigkeit zustehen. Der globale Welterschöpfungstag fällt gewöhnlich in den Juli. In den besonders verschwenderischen USA liegt er Anfang März, am spätesten begeht ihn am 20. Dezember Jamaika.
Österreich hat „Welterschöpfungstag“ erreicht – news.ORF.at
Nachhaltige Landwirtschafts- und Mobilitätsprojekte
Hörtipp
„Market Gardens“ sind kleine landwirtschaftliche Flächen, auf denen eine Vielfalt an Obst, Gemüse und Pflanzen angebaut werden kann. In den letzten Jahren wurde diese Tradition aus dem 19. Jahrhundert wiederbelebt. Gärtner:innen kultivieren auf den Miniflächen Pflanzen und vermarkten sie lokal – bei sehr guten Erträgen.
Die Market Gardens sind eines von mehreren klimainnovativen Projekten, die das RADIOKOLLEG aus der Ö1-Initiative REPARATUR DER ZUKUNFT präsentiert.